Pestizidfreie Regionen: Erfreuliche Ansätze

Atlas

Beispiele aus der ganzen Welt zeigen: Immer mehr Städte, Staaten und Regionen versuchen, weniger Pestizide auf ihren Feldern und Flächen auszubringen – oder gar komplett auf chemische Mittel zu verzichten.

Pestizidatlas Infografik: Anteil des Ökolandbaus an der gesamten Agrarfläche in der EU nach Mitgliedsstaat in 2019, Zunahme seit 2008 und Differenz zum EU-Ziel eines 25-Prozentanteils bis 2030, in Prozent
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In den letzten elf Jahren hat der Anteil der ökologischen Landwirtschaft in der EU langsam zugenommen. Elf Jahre bleiben, um diesen Anteil auf ein Viertel der gesamten landwirtschaftlich genutzten Fläche zu steigern

Städte und Regionen verzichten auf Pestizide

In Deutschland haben sich bislang über 550 deutsche Städte und Gemeinden dazu entschieden, ihre Grün- und -Freiflächen teilweise oder vollständig ohne Pestizide zu bewirtschaften. Während einige Kommunen auf eine bestimmte Wirkstoffgruppe oder einen bestimmten Wirkstoff wie beispielweise Glyphosat verzichten, sind andere Gemeinden bereits komplett aus der Nutzung von Pestiziden ausgestiegen. Zum Beispiel Saarbrücken. Schon seit über 25 Jahren kommt die Stadt ohne Pestizide aus. Auch viele Städte und Regionen in der Europäischen Union haben pestizidfreie Zonen eingerichtet – in Italien, Belgien den Niederlanden und Luxemburg. Bisher betrifft das allerdings meist die kommunalen und noch nicht die landwirtschaftlichen Flächen.

Cover des Pestizidatlas 2022

Der Pestizidatlas 2022

Der Pestizidatlas zeigt in 19 Kapiteln Daten und Fakten rund um die bisherigen und aktuellsten Entwicklungen, Zusammenhänge und Folgen des weltweiten Pestizidhandels und Einsatzes von Pestiziden in der Landwirtschaft.

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Dänemark und Luxemburg Vorreiter in Europa

Ein landesweites Verbot für den Einsatz von Pestiziden im öffentlichen Bereich setzt seit 2007 auch Dänemark um. Zusätzlich bemüht sich das Land darum, die Verwendung von Pestiziden insgesamt zu verringern. Im letzten Jahrzehnt hat es die eingesetzte Menge derart reduziert, dass es nun im Durchschnitt 40 Prozent weniger ausbringt als seine EU-Nachbarn. Von einem komplett pestizidfreien Zustand ist das Land jedoch noch weit entfernt.

Einer der europäischen Vorreiter in Sachen Pestizidverzicht ist Luxemburg, wo ein vollständiges Pestizidverbot auf öffentlichen Flächen 2016 in Kraft trat. Seit 1. Januar 2021 untersagt die Regierung auch, auf landwirtschaftlichen Flächen Glyphosat anzuwenden – obwohl das Herbizid eigentlich noch bis 2022 EU-weit zugelassen ist. Besonderes Engagement für ein Leben und Wirtschaften ohne schädliche Pestizide zeigt auch die Gemeinde Mals im italienischen Südtirol. Hier stimmte bei einem Volksentscheid 2014 eine Mehrheit der Bevölkerung dafür, dass ihr Gemeindegebiet und die dort betriebene Landwirtschaft zukünftig pestizidfrei sein sollen. Gegen den Beschluss gab es neben breiter Unterstützung auch große Widerstände ansässiger Betriebe. Das Verwaltungsgericht kippte schließlich den Volksentscheid, weil die Gemeinde für diese Umweltschutzfrage nicht die zuständige Instanz sei. Weitreichende Anerkennung hat der zivilgesellschaftliche Einsatz trotzdem gefunden: 2020 wurde die Gemeinde mit dem EuroNatur-Preis für ihr Durchhaltevermögen beim Vorgehen gegen Pestizide ausgezeichnet.

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Aber nicht nur in Europa findet ein Umdenken statt: Überall auf der Welt steigen Staaten und Regionen aus der Nutzung von Pestiziden aus. Ende 2020 hat die mexikanische Regierung – die noch 2018 von der nationalen Menschenrechtskommission wegen Verletzung ihrer Sorgfaltspflichten durch mangelnde Verbote hochgefährlicher Pestizide abgemahnt wurde – auf Druck der Zivilgesellschaft den Einsatz von Glyphosat ab 2024 verboten. Die zuständigen Ministerien wurden aufgefordert, nicht-chemische Alternativen zu den heutigen Pestiziden zu erarbeiten.

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Deutschland investiert seit Jahren zu wenig Geld in die ökologische Landwirtschaft. Dadurch wird ein Umstieg, der EU-Zielen entspricht, immer schwieriger

Indische Bundesstaaten setzen auf ökologische Landwirtschaft

Kirgistan plant sogar, komplett aus der Pestizidnutzung auszusteigen. Das kirgisische Parlament beschloss 2018, dass die gesamte Landwirtschaft innerhalb der kommenden zehn Jahre zur ökologischen Produktion übergehen solle, die auf den Einsatz chemisch-synthetischer Insektizide, Herbizide, Fungizide und anderer Agrarchemikalien und Wachstumsregulatoren verzichtet. Ausgenommen von dem Beschluss sind biologische Präparate. Auch in Indien haben mehrere Bundesstaaten begonnen, ihre Landwirtschaft auf biologischen Anbau umzustellen und den Einsatz von Pestiziden zu verbieten: Der kleine Bundesstaat Sikkim wird die erste Region weltweit sein, die wirklich zu 100 Prozent ökologisch produziert. Dieser Schritt stellt einen enormen Paradigmenwechsel dar in einem Land, das jahrzehntelang auf den hohen Einsatz von synthetischen Düngemitteln und Pestiziden gesetzt hatte. Ausschlaggebend für die Entscheidung in Sikkim war, dass der massive Pestizideinsatz die Zahl der Krebserkrankungen in die Höhe getrieben, Flüsse verunreinigt und Böden unfruchtbar gemacht hat. Die Sikkimer Regierung begründete ihren Schritt zudem damit, dass die Rückstände von Pestiziden – darunter viele, die in anderen Ländern verboten sind – die Grundnahrungsmittel Reis, Gemüse und Fisch verunreinigt haben. Auch der indische Bundesstaat Andhra Pradesh – knapp so groß wie Österreich, Dänemark und die Niederlande zusammen – hat 2018 angekündigt, dass die rund sechs Millionen Bäuerinnen und Bauern des Staates spätestens ab 2024 ohne chemisch-synthetische Pestizide arbeiten werden. Ein Weg, den auch Sri Lanka gehen will. Um das Ziel einer hundertprozentig ökologischen Landwirtschaft zu erreichen, hatte die Regierung im April 2021 die Einfuhr von chemischen Düngemitteln und Pestiziden kurzzeitig verboten. Aufgrund der ökonomischen Krise ruderte das Land jedoch wenige Monate später wieder zurück und erlaubte Importe wieder. Bereits seit Jahren verschärft die Regierung das Pestizidkontrollgesetz und verbot so insgesamt 36 hochgefährliche Pestizide. Dafür erhielt das Land 2021 den Special Future Policy Award, eine Auszeichnung, die auch als „Polit-Oscar“ bezeichnet wird.