So können wir Pestizide reduzieren

Atlas

Seit Jahrzehnten liegt in Deutschland der Verkauf von Pestizidwirkstoffen weitgehend unverändert hoch bei circa 30.000 Tonnen. Zivilgesellschaftliche Initiativen fordern deshalb gesetzliche Regelungen und finanzielle Anreize für Ökolandbau.
 

Pestizidatlas Infografik: Ergebnisse der Jugendumfrage 2021, in Prozent
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Pestizide sind für junge Menschen kein Naturgesetz: Sie fordern von der Politik stärkere Regulierung und bessere Förderung von ökologischen Alternativen

Unkonkrete Vorschriften gefährden Reduktionsziele

Im Jahr 2007 fasste die Bundesregierung im Rahmen ihrer Biodiversitätsstrategie das Ziel, den Eintrag von Pestiziden in Böden und Gewässer bis 2015 zu reduzieren. Unkonkret dabei blieb jedoch, wie hoch die angestrebte Reduktion ausfallen sollte. Auch der 2013 verabschiedete „Nationale Aktionsplan zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln“ formulierte die Absicht, die Risiken durch Pestizide für die Natur und insbesondere für bestäubende Insekten bedeutend zu minimieren. Eine Mengenreduktion wurde von der Regierung nicht definiert. Im Sommer 2021 schließlich wurde mit dem Insektenschutzpaket ein nächster Schritt unternommen. Durch die Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes ist nun der Einsatz von Herbiziden und Insektiziden verboten, die als bienengefährlich eingestuft werden. Allerdings gilt das Verbot nur in Schutzgebieten. Da diese bloß 0,5 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen ausmachen, stufen Fachleute diese Maßnahme als unzureichend ein: Sie wird kaum dabei helfen, die gesamte Menge der eingesetzten Pestizide und deren negativen Wirkungen auf die Natur zu verringern. Auch der Koalitionsvertrag der neuen Regierung schreibt keine konkreten Reduktionsziele fest.

Cover des Pestizidatlas 2022

Der Pestizidatlas 2022

Der Pestizidatlas zeigt in 19 Kapiteln Daten und Fakten rund um die bisherigen und aktuellsten Entwicklungen, Zusammenhänge und Folgen des weltweiten Pestizidhandels und Einsatzes von Pestiziden in der Landwirtschaft.

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Verbindliche Ausstiegsziele und Abgaben nötig

Das Agieren Deutschlands steht im Kontrast zum entschlossenen Vorgehen der Europäischen Kommission. Mit ihrer Biodiversitäts- sowie der sogenannten „Farm to Fork“-Strategie möchte sie die Menge und das Risiko der eingesetzten Pestizide genauso wie die Nutzung von besonders toxischen Pestiziden bis 2030 halbieren. Mitgliedsländer werden verpflichtet, ihr politisches Handeln zukünftig daran zu orientieren. Zivilgesellschaftliche Initiativen aus Deutschland und Europa gehen allerdings noch weiter: Sie fordern ein komplettes Verbot jener Pestizide, die hochgefährlich für Gesundheit und Umwelt sind. Im Rahmen einer europäischen Bürgerinitiative forderten die beteiligten Organisationen einen kompletten Ausstieg aus der Nutzung chemisch-synthetischer Pestiziden bis zum Jahr 2035.

Doch wie könnte eine ambitionierte Strategie der Bundesregierung zur Pestizidreduktion aussehen? Erkenntnisse aus Dänemark zeigen, dass die Einführung einer Pestizidabgabe ein geeignetes Instrument sein kann, um finanzielle Anreize für eine geringere Pestizidnutzung zu schaffen. Eine solche an den Risiken der Pestizide ausgerichtete Abgabe – je schädlicher das Pestizid, desto höher die Steuer – trägt dazu bei, besonders toxische Pestizide zu verteuern und Betriebe stärker zu motivieren, auf weniger schädliche Wirkstoffe umzusteigen. Allerdings muss die Abgabe hoch genug sein, um Erfolge zu erzielen. Auch Einnahmen könnten durch eine derartige Maßnahme generiert werden, die sich zweckgebunden für die Förderung nicht-chemischer Pflanzenschutzverfahren einsetzen ließe. Im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung jedoch steht von einer Abgabe nichts geschrieben.

Pestizidatlas Infografik: Eingesetzte Pestizidmenge in Brasilien und Dänemark zwischen 2009 und 2019, in Tonnen
Die Politik hat es in der Hand, ob mehr oder weniger Pestizide auf Feldern und Äckern landen. In Dänemark hat sich die ausgebrachte Pestizidmenge in den Jahren nach Einführung der Pestizidabgabe um fast 40 Prozent reduziert

Mehr Forschung, mehr Förderung von Ökolandbau

Aber auch gesetzliche Regelungen, die den Einsatz besonders schädlicher Pestizide wie zum Beispiel Stoffe aus der Gruppe der bienenschädlichen Neonikotinoide oder besonders umwelt- oder gesundheitsgefährliche Herbizide verbieten, gehören zu einer wirksamen Strategie. Das Verbot der Freilandanwendung von drei bienengefährlichen Neonikotinoiden im Jahr 2018 zeigte bereits Wirkung: Seitdem kann eine Reduktion der eingesetzten Mengen beobachtet werden. Außerdem fordern zivilgesellschaftliche Organisationen, dass Deutschland sich auf europäischer Ebene gegen die Verlängerung der auslaufenden Zulassung von Glyphosat aussprechen sollte. Auf Antrag der herstellenden Konzerne hat die EU ein Überprüfungsverfahren eingeleitet, indem sie den Wirkstoff erneut prüft: Voraussichtlich Ende 2022 werden die europäischen Agrarministerien über die Wiedergenehmigung abstimmen.

Ein Hebel für die Reduktion von Pestiziden ist auch die Neuausrichtung der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik (GAP), die jährlich regelt, wie viel Subventionen landwirtschaftliche Betriebe erhalten – ab 2023 werden es knapp 54 Milliarden Euro sein. Zivilgesellschaftliche Organisationen und auch die Wissenschaft fordern seit Jahren, dieses Geld so einzusetzen, dass es dem Klimaschutz und der Biodiversität dient. Ab 2023 gibt es in Deutschland das erste Mal zusätzliche GAP-Zahlungen für Betriebe, die auf Pestizide auf konventionellen Äckern verzichten.

Ein weiterer wichtiger Ansatz zur Reduktion von Pestiziden ist die Förderung des Ökolandbaus, der wegen steigenden Verbraucherinteresses seit Jahren immer höhere Umsätze erzielt. Seit 2002 gibt es das deutsche Ziel, mindestens 20 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche ökologisch nutzen zu wollen – eine Zeitvorgabe ist mit diesem nationalen Aktionsplan jedoch nicht verknüpft. Die neue Bundesregierung will das Ziel auf 30 Prozent erhöhen. Die EU strebt bis 2030 25 Prozent an. Da der ökologische Landbau ohne chemische Pestizide auskommt, trägt er maßgeblich dazu bei, die eingesetzte Pestizidmenge zu reduzieren. Zivilgesellschaftliche Organisationen betonen, dass dafür nicht nur stärkere finanzielle Anreize für Betriebe nötig sind, ihre Produktion umzustellen – es braucht außerdem auch deutlich mehr Forschung im Bereich der ökologischen Landwirtschaft und des nicht-chemischen Pflanzenschutzes.