Mexiko zwischen Energiesouveränität und Klimanotstand

Analyse

Die Abhängigkeit von den Öleinnahmen bedroht die Zukunft der Länder, die am stärksten vom Klimawandel betroffenen sind. Doch auch diese halten an dem fossilen Modell fest, wie das Beispiel Mexiko zeigt.

Blick auf eine Bohrinsel im Meer
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Eine Offshore-Ölplattform im Golf von Mexiko.

Mexiko gilt weltweit als eines der Länder mit der größten wirtschaftlichen Ungleichheit. Fast die Hälfte der Bevölkerung lebt in Armut. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den CO2-Emissionen: In Mexiko entfallen auf 50 Prozent der Bevölkerung weniger als zwei Tonnen des Pro-Kopf-Ausstoßes, während die reichsten zehn Prozent für das Zehnfache der Emissionen (20 Tonnen pro Kopf) verantwortlich sind. Diese Kluft ist sogar noch deutlich ausgeprägter als in Brasilien.

Begleitet wird die Ungleichheit von einer vierjährigen Stagnation, die sich wiederum durch die Folgewirkungen der Corona-Pandemie und die derzeit hohe Inflationsrate zusätzlich verschärft. Mexiko leidet zudem unter einer schweren Wasserversorgungskrise, insbesondere im Norden des Landes. Grund hierfür ist zum einen die Dürre, die mehr als die Hälfte des Staatsgebiets betrifft. Zum anderen sind es die weit verbreitete Gewalt sowie der Zerfall des sozialen Gefüges, der seit Jahrzehnten zu einem guten Teil durch die organisierte Kriminalität gestützt wird.

Angesichts der rasant wachsenden Herausforderungen ist der Kampf gegen den Klimanotstand ein Anliegen von geringer beziehungsweise minimaler Bedeutung für die mexikanische Regierung. Diese zählt Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen nach wie vor nicht zu ihren Schwerpunkten. Das starre Festhalten an der Förderung von Erdöl und fossilen Brennstoffen ist ein Hindernis für die zunehmend geschwächte Klima- und Umweltpolitik des Landes.

Das Öl hat Mexiko viel eingebracht, aber ...

Ende der 1970er Jahre kam es zu einem Boom in der mexikanischen Ölindustrie. Jahrelang war Erdöl eine wichtige Einkommensquelle für das Land. 1982 wurden 44 Prozent der regulären Staatseinnahmen in diesem Sektor erwirtschaftet, heute belaufen sich die Einkünfte aus dem Erdöl auf 2,24 Milliarden US-Dollar. Nach aktuellen Angaben der mexikanischen Zentralbank liegt ihr Anteil an den gesamten Haushaltseinnahmen des Landes bei 19 Prozent. Von 1938 bis 2014 befand sich die Erdölindustrie ausschließlich in Staatshand und wurde vom staatlichen Ölkonzern Pemex ohne Zulassung von privatem Kapital kontrolliert.

2014 trieb der damalige Staatspräsident Enrique Peña Nieto mit einer Energiereform die wirtschaftliche Öffnung des Ölsektors voran. Bei seinem Amtsantritt 2018 und dem damit verbundenen politischen Machtwechsel schrieb sich der heute amtierende Präsident Andrés Manuel López Obrador unter anderem die Verstaatlichung der Erdölindustrie und die Stärkung von Pemex als zentrale Themen auf die Fahnen.

Zweifellos sind die derzeitigen Bedingungen für das Land und die Erdölindustrie nicht mehr dieselben wie in den Boomjahren. Die Politiker können vor der schweren Umwelt- und Klimakrise, die das Land und die gesamte Welt erfasst hat, nicht mehr die Augen verschließen. Nach Angaben des Nationalen Instituts für Ökologie und Klimawandel galt Mexiko schon 2018 aufgrund seiner geografischen Gegebenheiten als eines der Länder, die durch den Klimawandel am stärksten gefährdet sind. Die Gründe hierfür liegen in der Lage zwischen zwei Weltmeeren, der weitverbreiteten Armut und Ungleichheit sowie der Anfälligkeit für die Klimafolgen beziehungsweise der Unfähigkeit, sie zu bewältigen.

Der Widerspruch zwischen Energie- und Klimapolitik

Ein zentraler Konflikt zieht sich in Mexiko durch alle Maßnahmen gegen den Klimawandel: Auf der einen Seite vertritt die Energiewirtschaft[1], eine Politik, die darauf ausgerichtet ist, die in den letzten Jahren verlorene Energiesouveränität wiederzugewinnen. Sie stützt sich dabei auf den Export fossiler Brennstoffe, um so größere Einnahmen für die Sozialpolitik der Regierung zu erzielen. Auf der anderen Seite steht eine geschwächte Klima- und Umweltpolitik. Diese ist an zunehmend handlungsunfähige Institutionen wie das Ministerium für Umwelt und Naturressourcen (SEMARNAT) und das Nationale Institut für Ökologie und Klimawandel (INECC) gekoppelt, die mit einer dünnen Personaldecke und einem Minimum an Finanzmitteln ausgestattet sind. Bei der praktischen Umsetzung des vorherrschenden Austeritätsdiskurses der amtierenden Regierung hat in erster Linie der Umweltbereich das Nachsehen. So belaufen sich die Mittel für das fossile Modell insgesamt auf das 16,3-Fache des für den Klimawandel eingesetzten Budgets.

Auf der Liste der wichtigsten Emittenten belegt Mexiko mit einem Anteil von 1,42 Prozent am weltweiten Treibhausgas-Ausstoß den neunten Platz (unter Nichtberücksichtigung der Veränderungen in der Landnutzung und der Waldwirtschaft). Das Land gehört damit weltweit zu den größten Verschmutzern und verzeichnet nach Brasilien den zweithöchsten Ausstoß von Treibhausgasen (THG) in Lateinamerika. Dennoch liegt Mexiko weit hinter anderen Verschmutzern wie China (68,71 Prozent), den USA (12,67 Prozent), der Europäischen Union (7,52 Prozent) oder Indien (7,08 Prozent). Insgesamt sind nur zehn Staaten - darunter auch Mexiko - für zwei Drittel der THG-Emissionen verantwortlich. Die UNO wiederum unterstreicht, dass die 100 kleineren Emittenten mit lediglich drei Prozent am weltweiten Ausstoß beteiligt sind.

Trotz dieser Zahlen setzt die mexikanische Regierung nach wie vor auf eine Energiepolitik, die sich auf die Nutzung fossiler Brennstoffe stützt. Für den Sozialwissenschaftler Raúl Pacheco-Vega hat die Förderung der kohle- und ölzentrierten Energiewirtschaft ihren Ursprung in den vorangegangenen sechs Jahren, in denen der Widerspruch zwischen einer ausgesprochen ehrgeizigen Klimapolitik und einer auf Kohlenwasserstoffe ausgelegten Energiepolitik entstand. Das starre Festhalten an der traditionellen Energiewirtschaft ist nicht unbedingt nur wesenstypisch für die Regierung von López Obrador. Dass diese Regierung jedoch trotz wissenschaftlich fundierter Berichte über die derzeitigen und künftigen Folgen des Klimawandels immer noch dieselbe Vision verfolgt, gibt Anlass zur Sorge. Dieses Konzept setzt auf fossile Brennstoffe, um damit eine Sozialpolitik aufrechterhalten zu können, die darauf abzielt, die Ursachen der Armut zu überwinden.

Mexiko hat den Klimaschutz nicht aufgegeben

In der Klimapolitik verfügt Mexiko über eine klar definierte institutionelle Struktur: Das Nationale Klimaschutzsystem (SINACC) ist das oberste Regierungsorgan für diesen Bereich. Es wurde ins Leben gerufen, um Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen umzusetzen. Darüber hinaus sind mehrere Institutionen der Legislative mit der Entwicklung klimapolitischer Konzepte befasst.

Die derzeitige Regierung hat ein Sonderprogramm zum Klimawandel (PECC) 2021-2024 aufgelegt und damit die Marschroute für Anpassungs- und Schutzmaßnahmen gegen die negativen Folgen des Klimawandels abgesteckt. Zentraler Bestandteil des Programms ist es, im Rahmen des SINAAC eine landesweite Anpassungspolitik zu erarbeiten und ein integriertes Wassermanagement für das gesamte Land zu fördern. Zu den Zielen gehört unter anderem, einen gerechten Zugang zu den Wasserressourcen sicherzustellen, für die Energiewende zu werben und Maßnahmen für eine nachhaltige Mobilität voranzutreiben.

Nach knapp vier von sechs Regierungsjahren ist es noch zu früh, um die Maßnahmen zu bewerten, die das derzeit gültige Klimaschutzprogramm PECC vorschlägt. Doch zeichnet sich bereits ab, dass die Umsetzung einiger Konzepte noch in weiter Ferne liegt, so zum Beispiel die Einbindung sauberer Energien in die Stromerzeugung, deren Anteil bis 2024 auf 35 Prozent steigen soll. Nach den Daten des mexikanischen Programms zur Entwicklung des Elektrizitätssystems entfallen derzeit lediglich 16 Prozent auf Anlagen erneuerbarer Energien (nicht eingerechnet sind hierbei die großen Wasserkraftwerke).

Laut Andrés Ávila-Akerberg, Geschäftsführer der zivilgesellschaftlichen Organisation POLEA, sind trotz der finanziellen Unterversorgung der Umweltinstitutionen und der schleppenden Umsetzung einiger Vorhaben durchaus große Fortschritte in der Klimapolitik erzielt worden. Dies gilt insbesondere für die bundesstaatliche Ebene. So verfügen derzeit bereits 29 der 32 mexikanischen Bundesstaaten über Klimaschutzgesetze. In 27 Bundesstaaten gibt es ein staatliches Programm zum Klimawandel. In diesem Bereich haben die Lokalregierungen größeren Handlungsspielraum und bessere Möglichkeiten, Finanzmittel aus der internationalen Zusammenarbeit für Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen zu akquirieren.

Alternativen gesucht

„Der Kampf geht immer weiter“ – mit dieser weit verbreiteten Parole, die regelmäßig in den politischen Forderungen und Protesten auftaucht, befinden sich die Klimaaktivist*innen in Mexiko wieder im Aufwind. Glücklicherweise haben gerade die Jugendlichen und die indigenen Völker in den vergangenen zwei Jahren die öffentliche Debatte über dringend notwendige wirtschaftliche Alternativen jenseits des Öls vorangetrieben.

Die Zivilgesellschaft hält hartnäckig an ihrer Forderung fest, den Einsatz fossiler Brennstoffe nicht weiter zu favorisieren und stattdessen eine gerechte Energiewende in Mexiko zu fördern. Für die indigene Aktivistin Mitzy Cortés „darf die Sorge um das Wohl des Landes unter keinen Umständen auf Kosten der Bevölkerung gehen, auf Kosten der Natur und ihrer Zerstörung“.

Mit ihrer Stimme reiht sie sich in ein breites Spektrum von Gruppen ein, die Maßnahmen gegen den Klimanotstand fordern. Hierzu gehören zum Beispiel der Nationale Klimagipfel der Jugend, die Klimabotschafter, die Pro-Klima-Jugend oder die Mütter gegen den Klimawandel. Dennoch hat die amtierende Regierung augenscheinlich kein offenes Ohr für deren Forderungen. Stattdessen hält sie an ihrer Energiepolitik fest, die sich auf fossile Brennstoffe und Megaprojekte stützt.


[1]Diese besteht vorrangig aus dem Energieministerium, dem staatlichen Erdölkonzern Pemex und dem staatlichen Stromversorger Comisión Federal de Electricidad (CFE).


Übersetzung aus dem Spanischen von Beate Engelhardt

Dieser Artikel ist Teil des Dossiers „COP27: Klimapolitik in Lateinamerika“.