Kolumbien will unter der neuen Regierung die Energiewende

Analyse

Erstmals in seiner Geschichte hat Kolumbien eine basisnahe Regierung. Der neue Präsident Gustavo Petro will mit einer ehrgeizigen Klimapolitik und dem Rückbau fossiler Energien Pionierarbeit leisten und eine Vorreiterrolle in Lateinamerika spielen.

Traditionelles Holzhaus mit Sonnenkollektoren in den Bergen Kolumbiens.
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Ein traditionelles Holzhaus mit Sonnenkollektoren in den Bergen Kolumbiens

Schon im Wahlkampf hatte Petro die Absicht bekundet, eine gerechte Klimapolitik voranzutreiben. Bei der Energiewende will er Kolumbien eine zentrale Funktion in der Region zuschreiben. Diese Kernbotschaft bekräftigte der heutige Präsident sowohl in seiner Antrittsrede als auch bei seinem Auftritt vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen am 20. September dieses Jahres. Darin äußerte er grundlegende Kritik an der Rolle des globalen Nordens bei der Entwaldung und der Drogenbekämpfung auf Kosten der Umwelt. Öl und Kohle seien Gift, das zu einer verheerenden Abhängigkeit geführt habe, so dass deren Nutzung die Auslöschung der Menschheit bedeuten könne. Nach Petros Ansicht haben die fossilen Brennstoffe zu einer tiefgreifenden, todbringenden Veränderung der Erdatmosphäre geführt.

In all diesen Foren stellte der kolumbianische Staatschef sein Anliegen vor, die ausschließliche Abhängigkeit von Rohstoffen hinter sich zu lassen. Stattdessen will er die Nutzung sauberer Energien demokratisieren, um Platz für die eigenen Kapazitäten des Landes zu schaffen. Somit stellt seine Regierung erstmals das extraktive Wirtschaftsmodell an sich in Frage. Historisch gesehen waren weder der Staat noch der Privatsektor bisher je dazu bereit, über einen Paradigmenwechsel zu diskutieren. Der völlig neue Kurs des Präsidenten spiegelt sich auch in der Ernennung von Irene Vélez zur Ministerin für Bergbau und Energie wider. Sie lehrt und forscht zum Thema Umweltkonflikte und soll nun die Aufgabe übernehmen, die Energiewende im Land zu beschleunigen und Kolumbien zu einem der führenden Staaten im Bereich sauberer und lebensfreundlicher Energien zu machen. Ebenso bemerkenswert ist, dass Petro die Spitze des Umweltministeriums mit Susana Muhammad besetzt hat, einer anerkannten Umweltaktivistin, die nun seine Verpflichtung zum Kampf gegen den Klimawandel weiter vorantreiben soll. Die ähnlichen Profile dieser Personalentscheidungen verbinden und ergänzen die beiden Ministerien, die bisher nicht miteinander vernetzt waren.

Dialog auf Augenhöhe zwischen Regierung, Bürger*innen und  Unternehmerschaft

Zu den Zielsetzungen der Regierung für den Zeitraum 2022-2026 gehören ein vollständiger Frieden sowie soziale und ökologische Gerechtigkeit. Um dies zu verwirklichen, wird sich die neue Regierung mit einem stark menschenrechts- und genderbasierten Ansatz auf fünf Umbausäulen konzentrieren. Die Säulen 1 und 2 bilden dabei die Kernelemente einer sozial gerechten Wirtschaftsentwicklung: Die erste schreibt „Kolumbien eine Führungsrolle im Kampf gegen den Klimawandel“ zu. Die zweite zielt auf die Umgestaltung von „einer extraktiven Wirtschaft zu einer produktiven Wirtschaft“ ab, in der die Dekarbonisierung der Ökonomie durch eine Demokratisierung der „ländlichen, städtischen und digitalen Räume“ im Vordergrund stehen soll.

Die hier aufgezeigten Umbaumaßnahmen sollen im „Nationalen Entwicklungsplan“ festgelegt werden. In diesem Papier werden die strategischen Leitlinien der staatlichen Politik definiert, die der Präsident mit Hilfe seines Regierungsteams weiter ausformulieren wird. Ebenso sind dort die kurz- und langfristigen Ziele sowie die Finanzierungsmechanismen niedergeschrieben. Bemerkenswert ist, dass in diesem Gestaltungsprozess Bürgerbeteiligungsräume mit bindender Wirkung vorgesehen sind. So sollen ethnische Gruppen konsultiert werden und eine Reihe von Dialogen mit den Gemeinden sowie regionalen Anhörungen stattfinden. Dieser Konsultationsprozess ist bereits am 16. September dieses Jahres angelaufen. Das Ziel besteht darin, die Prioritäten des Nationalen Entwicklungsplans in einem kollektiven Prozess gemeinsam mit öffentlichen und privaten Akteur*innen zu bestimmen sowie die Vorschläge und Vorhaben für die nächsten vier Jahre aufzugreifen und zu systematisieren. Die Formulierung „mit bindender Wirkung“ soll das altbekannte Problem überwinden, dass der Staat bislang kaum auf die Vorschläge aus den Bürgerbeteiligungsprozessen einging.

Nachdem der kolumbianische Kongress den Entwicklungsplan debattiert und verabschiedet hat, soll dieser bis spätestens Mai 2023 fertig ausgearbeitet sein. Die Energiewende soll sowohl in den allgemeinen Teil, in dem die langfristigen wirtschafts-, sozial- und umweltpolitischen Konzepte auf Landesebene festgelegt sind, als auch in den öffentlichen Investitionsplan aufgenommen werden. Dort sind die mehrjährigen Haushaltspläne für nationale Investitionen aufgeführt und die dazu erforderlichen Finanzmittel aufgeschlüsselt.

Um die Energiewende zu finanzieren, schlägt die Petro-Regierung zudem die Einrichtung eines Fonds vor, der sich aus Lizenzgebühren und der Beseitigung von Steuervorteilen für die extraktiven Industrien speisen soll. Die Regelungen zur neuen Steuerreform, die kürzlich dem kolumbianischen Kongress vorgelegt wurden, erweisen sich allerdings in einem Punkt als widersprüchlich. Denn dort wird vorgeschlagen, einen Artikel zu streichen, der die Einnahmen aus der Kohlesteuer Naturschutzinitiativen zuschreibt. Dies ist einer der Konflikte, die im Übergangsprozess bewältigt werden müssen: Es geht um die Notwendigkeit, den Modellwechsel zu finanzieren, und dazu Mittel einzusetzen, die möglicherweise aus fossilen Brennstoffen gewonnen werden könnten. Am Ende des Verhandlungsprozesses zwischen Interessenverbänden und Regierung beziehungsweise zwischen Exekutive und Legislative könnten diese Finanzmittel jedoch verändert, gestrichen oder für andere Bereiche verwendet werden.

Ebenso sind der Kampf gegen den Klimawandel und die Suche nach einem nachhaltigen Produktionsmodell an die Energiewende gekoppelt. Die Petro-Regierung hat die nationalen und internationalen Akteur*innen der extraktiven Industrien – darunter auch das staatliche Erdölunternehmen Ecopetrol – dazu eingeladen, sich an dem stufenweise zu gestaltenden Prozess zur Gewinnung neuer Energien zu beteiligen. Dieser soll sich „mit einem Planungshorizont von 17 Jahren auf die Schwerpunkte Wind, Wasser und Sonne stützen“. Die bisherigen Ideen rufen jedoch schon jetzt gegensätzliche Sichtweisen auf den Plan. Denn laut dem Vorschlag der fossilen Energieindustrie soll beispielsweise Gas als Übergangsenergie eingestuft werden. Die Regierung hingegen betrachtet Gas als schmutzige Energie.

Ein weiteres umstrittenes Regierungsvorhaben besteht in der Zusage, dass keine neuen Lizenzen für Erdölerkundungen mehr vergeben und auch keine Genehmigungen für großflächigen Tagebau oder Fracking erteilt werden. Eine solche Entscheidung fordert die Bevölkerung aufgrund der negativen sozialen und ökologischen Folgen solcher Aktivitäten bereits seit Jahren. Doch löst sie auf Seiten der Unternehmen in vielerlei Hinsicht Besorgnis aus. Denn Erdöl ist das wichtigste Exportprodukt Kolumbiens und die Gasproduktion steigt. Um die Einnahmeausfälle aus diesen Quellen zu kompensieren, müsste die Regierung einen progressiven, gerechten und geordneten Fahrplan erstellen, der das Wirtschaftswachstum in anderen Branchen maßgeblich fördert. Hierzu gehören die erneuerbaren Energien, ein nachhaltiger Tourismus und eine nachhaltige Landwirtschaft.

Mit den neuen Konzepten will Kolumbien in der internationalen Klimapolitik eine Führungsrolle übernehmen. Hierzu sollen Programme gefördert werden, die auf den Schutz der Wälder ausgelegt sind (wie beispielsweise das Programm Visión Amazónica) oder finanzielle Ausgleichszahlungen vorsehen, wenn der Abbau fossiler Brennstoffe vermieden wird. Ergänzend könnten weitere Ideen einfließen, wie beispielsweise ein Zusammenschluss der Amazonasländer, um in die Verhandlungen über die Auslandsverschuldung einen Ausgleich für die Verringerung von Abholzungen einzubringen. Auch hat die Regierung darauf hingewiesen, dass sie die Erzeugung von Solarenergie im Department Guajira mit einem menschenrechtsbasierten Ansatz und einer stärkeren Unterstützung der einheimischen Industrie fördern will. Zudem strebt sie an, Energiequellen wie Biomasse und Biogas zu nutzen, Projekte für grünen Wasserstoff anzustoßen und die Bedingungen für die derzeit laufenden Wasserkraftwerke als wichtigste Energiequelle des Landes zu prüfen. Dies soll unter der Prämisse geschehen, dass keine weiteren Pumpspeicherkraftwerke mehr gebaut werden.

Notwendige Maßnahmen für eine erfolgreiche Energiewende

Die Herausforderungen des Modellwechsels könnten kaum größer sein, denn derzeit erzielt Kolumbien 56 Prozent der Exporteinnahmen durch Erdöl und Kohle. Um die Energiewende und den Umbau zu einer produktiven Wirtschaft erfolgreich voranzutreiben und gleichzeitig zu vermeiden, dass die Veränderung der Energiematrix zu einem „grünen Extraktivismus 2.0“ führt, dürfen beim Bergbau, der für die neuen Energieformen erforderlich ist, nicht dieselben Fehler begangen werden wie bei der Ausbeutung fossiler Brennstoffe. Die neue Regierung berücksichtigt bereits Themen wie den Multi-Stakeholder-Dialog, um die Polarisierung zu verringern und auf lokaler Ebene einen Konsens zur produktiven Entwicklung und den Steuerreformen zu bilden. Nichtregierungsorganisationen wie das Bündnis Foro Nacional Ambiental (Nationales Umweltforum) oder der kolumbianische Thinktank Transforma Global schlagen darüber hinaus vor, zusätzlich einige weitere Punkte in den Entwicklungsplan einzubeziehen:

  • Die Erarbeitung arbeitsrechtlicher und sozialer Garantien für die Arbeitnehmer*innen, die in den extraktiven Industrien tätig waren.
  • Eine Reform des Bergbaugesetzes, das bereits über 20 Jahre alt ist und dessen Änderung eine vorherige Konsultation mit den indigenen Gemeinschaften und anderen ethnischen Gruppen erfordert.
  • Die Förderung und Finanzierung der Erforschung sauberer Energien.
  • Eine Vernetzung mit regionalen und lokalen Regierungsinstanzen, um die Energiewende in den Städten umzusetzen. Denn die öffentlichen und privaten Transport- und Infrastruktursysteme in der Industrie und im Energiesektor sind mit einem CO2-Ausstoß von 10,6 bzw. 88,6 Millionen Tonnen in Kolumbien die beiden wichtigsten Verursacher von Treibhausgasemissionen. Dies geht aus den für 2020 ermittelten Nationally Determined Contributions hervor.
  • Die Einbindung der Klimawandel-Variablen in sämtliche Umweltverträglichkeitsprüfungen für Vorhaben zur Energieentwicklung.

Um eine sozial und ökologisch gerechte Energiewende zu erreichen, muss die Energiematrix des Landes schrittweise umgebaut und diversifiziert werden. Dies bedeutet, dass Kolumbien auf neue Formen der Erzeugung erneuerbarer Energien setzen muss, die mit dem Kampf gegen die Klimakrise im Einklang stehen. Ebenso muss die Abhängigkeit von Wasser- und Wärmekraftwerken überwunden werden. Denn diese Energieformen haben wegen der dadurch verursachten Umweltverschmutzungen, Zwangsvertreibungen, Treibhausgasemissionen und Zerstörungen der Biodiversität zu schwersten sozialökologischen Konflikten in Kolumbien geführt. Bei den neuen Produktions- und Energievorhaben müssen Raumordnungen und Schutzgebiete respektiert werden, das Recht der Bevölkerung auf Arbeit, Wohnung und eine gesunde Umwelt gewährleistet sein und die wirtschaftlichen Gewinne allen lokalen Akteur*innen zugutekommen.


Übersetzung aus dem Spanischen von Beate Engelhardt

Dieser Artikel ist Teil des Dossiers „COP27: Klimapolitik in Lateinamerika“.