Spionage gegen die freie Presse in El Salvador: Der Fall Pegasus

Kommentar

El Salvador spioniert Journalist*innen aus und gefährdet die Pressefreiheit. Die Betroffenen warten noch immer auf Aufklärung der Pegasus-Angriffe.

Grafitti - aufgesprühte schwarze Kamera auf silbern gemusterten Hintergrund

In El Salvador wurde die Spionage legalisiert. Ich schreibe diesen Artikel erfüllt von einer Mischung aus Wut, Enttäuschung und Frustration, wenn ich mir vergegenwärtige, was das bedeutet. Vor einem Jahr teilte mir meine Kollegin und Freundin Xenia Oliva mit, dass unsere Mobiltelefone mit Pegasus, der Spionage-Software der NSO Group infiziert sind – einer israelischen Firma, die ihre Software ausschließlich an Regierungen verkauft.

Daraufhin ließen wir unsere Geräte gründlich durchchecken und erfuhren, dass wir tatsächlich Ziel eines Angriffes geworden waren. In dem Bericht der NGOs Citizen Lab und Access Now zu Hacker Angriffen auf Presse und Zivilgesellschaft in El Salvador Anfang 2022 wird belegt, dass 35 Personen mit diesem gefährlichen Programm ausspioniert wurden. 22 von 35 Pegasus-Opfern arbeiten für die salvadorianische Tageszeitung El Faro. Von den infizierten Geräten konnten Bilder und Videos kopiert werden, die Software ermöglichte es, zu wissen wo wir uns aufhielten und worüber wir sprachen, mit wem wir uns austauschten und welche Informationen wir mit anderen teilten und andere mit uns.

Was ist seitdem geschehen? Was folgte daraus, nachdem öffentlich wurde: In El Salvador wird mit Pegasus Spionage betrieben. Bislang lässt sich das so zusammenfassen: Wir haben es mit einem Staat zu tun, der bereit ist, alles dafür zu tun, um das Ausspionieren privater Telekommunikationsmedien zu legalisieren. Das passiert mit sogenannten Reformvorhaben und Gesetzesänderungen, die den Datenschutz einschränken. Seit der Veröffentlichung des Einsatzes von Pegasus in El Salvador hat es viele Reformen gegeben, die allesamt darauf abzielen, die Telekommunikationsüberwachung weiter zu erleichtern.

Institutionalisierung der Telekommunikationsüberwachung

In der Nacht zum ersten November 2022 hat das salvadorianische Parlament der Generalstaatsanwaltschaft zusätzliche Befugnisse bei der Telekommunikationsüberwachung gewährt. Die Abgeordneten der Regierungspartei Nuevas Ideas sowie die mit ihr verbündeten Parteien, stimmten für eine Reform des Sondergesetzes zur Telekommunikationsüberwachung. „Der Kampf gegen die organisierte Kriminalität wird gestärkt“, so ihre Argumentation. Ihrer Darstellung zufolge soll so die Strafverfolgung von Gangs während des seit etwas mehr als sieben Monate anhaltenden Ausnahmezustands im Land ermöglicht werden.

Es scheint, als sei es nun möglich, innerhalb von vier Stunden nachdem eine richterliche Anordnung erfolgt ist, Maßnahmen zur Telekommunikationsüberwachung zu ergreifen. Überwachungsanträge der Staatsanwaltschaft können somit sofort bearbeitet werden.

Die sich nun stellende Frage lautet: Weshalb sind diese Reformen so gefährlich? Die Antwort ist einfach: In El Salvador wurde die Spionagesoftware Pegasus eingesetzt. Bislang ist nicht bekannt, wer das veranlasst hat. Niemand ist dafür verantwortlich. Niemand. Und das obgleich die NSO Group darauf beharrt, dass die Software gemäß der Freigabe des israelischen Verteidigungsministeriums ausschließlich an Regierungen verkauft wird. Auch ungeachtet dessen, dass Citizen Lab und Access Now Beweise dafür fanden, dass die Pegasus-Angriffe von El Salvador aus erfolgten. Die Organisation Citizen Lab hat sich zum Ziel gesetzt, weltweit den illegalen Einsatz von Pegasus aufzudecken. Citizen Lab und auch Access Now, die sich für die Einhaltung digitaler Rechte einsetzen, bestätigen beide, dass der Fall El Salvador weltweit einzigartig ist. Es gibt keinen vergleichbaren Fall staatlicher digitaler Kontrolle insbesondere was den Einsatz von Pegasus gegen das Nachrichtenmagazin El Faro angeht. Es handelte sich dabei um einen umfassenden und andauernden Fall von Spionage. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs.

Gefährliche Reformen und kooptierte Justiz

Es wird Abgeordnete geben, die argumentieren, die eine richterliche Anordnung garantiere, dass es keine unrechtmäßige Anwendung von Überwachungsmaßnahmen geben wird. Wird das wirklich so sein? Ein Überwachungsskandal in Spanien in diesem Jahr zeigt, wie ein Rechtsstaat auf illegale Überwachung reagiert: in Katalonien hatten richterliche Anordnungen den Einsatz von Pegasus gegen katalanische Politiker*innen, Aktivist*innen und Anwält*innen ermöglicht. So wurde die Kommunikation von hunderten Personen überwacht. In der Folge erklärte die spanische Regierung nicht nur, dass es die richterliche Kontrolle über den Geheimdienst Centro Nacional de Inteligencia (CNI) stärken werde, sondern entließ auch gleichzeitig die Direktorin der Behörde. Daher stelle ich die Frage an den Staat El Salvador: Ist eine richterliche Anordnung wirklich eine Garantie? Nein, sie ist es nicht. Noch viel weniger im Falle des salvadorianischen Staates, da er den Geschehnissen im Pegasus-Fall nicht nachgeht.

In El Salvador wird der Rechtsstaat durch Personalpolitik ausgehöhlt: die salvadorianische Staatsanwaltschaft untersteht einem aufoktroyierten Beamten, der Oberste Gerichtshof ist mit Richter*innen besetzt , die dort gezielt platziert wurden und im Justizwesen wurde ein Drittel aller Richter*innen in den Ruhestand geschickt, um diejenigen aufs Abstellgleis zu stellen, die sich dem Ausnahmezustand hätten widersetzen können. Nochmals also die Frage: Wie soll gewährleistet werden, dass unsere Privatsphäre respektiert wird?

Ende März 2022 wurde in El Salvador nach einem Wochenende, an dem 87 Menschen ermordet wurden, der Ausnahmezustand verhängt. Kurz zuvor waren Verhandlungen, die die Regierung von Nayib Bukele laut Recherchen von El Faro mit der Gang Mara Salvatrucha (MS-13) führte, abgebrochen worden. Die Ausrufung des Ausnahmezustands hat bereits jetzt zur Verhaftung von mehr als 56.000 Menschen sowie zu schwerwiegenden Verletzungen der Menschenrechte durch den Staat geführt. Der seit neun Monaten laufend verlängerte Ausnahmezustand hat bewirkt, dass uns verfassungsmäßige Rechte wie die Unverletzlichkeit unserer Kommunikation abhandengekommen sind.

Zu den beschriebenen gefährlichen Reformen kommen noch weitere „Reformen“ hinzu. Nur einen Monat, nachdem die Öffentlichkeit über den Pegasus-Überwachungsfall informiert wurde, beschloss das Parlament fünf Änderungen an der Strafprozessordnung und führte sogenannte „verdeckte digitale Ermittler*innen“ ein. Das von Bukele kontrollierte Parlament erteilte der nationalen Zivilpolizei die Befugnis, im Rahmen von Untersuchungen „verdeckte digitale Operationen“ mittels „Computer-Programmen“ durchzuführen.

Sowohl bei diesen Reformen als auch den erst kürzlich beschlossenen ist vom „Einsatz von Werkzeugen oder Programmen“ zur Überwachung die Rede. Doch um welche Programme geht es hier? Gehört Pegasus auch dazu? Wir müssen uns klar darüber sein, dass es nicht nur um Pegasus geht. Es gibt unzählige Spyware-Programme oder andere Spionage-Tools, die genau jetzt dafür eingesetzt werden, Angriffe auf Menschen durchzuführen, sie zu verfolgen und zu ermorden. Es sind Programme, mit denen unbequeme Stimmen unterdrückt und die Arbeit von Journalist*innen behindert werden soll.

Internationale Unterstützung: jetzt!

Amnesty International übergab am vergangenen 28. Oktober den Vereinten Nationen mehr als 100.000 Unterschriften, die ein Ende des illegalen Ausspionierens fordern, da dies zu einer von Straflosigkeit geprägten Krise geführt habe. Im Europäischen Parlament sprechen Abgeordnete bereits von „einer gravierenden Bedrohung für die Demokratie“, wenn Staaten vom illegalen Einsatz solcher Technologien ausgehen. Es gibt einen Aufruf für ein Moratorium. Eine weltweite Regulierung derartiger Technologien ist dringend geboten. Es braucht die Unterstützung von deutlich mehr Staaten, denn es geht nicht allein darum, den Respekt vor der Privatsphäre zu fordern, sondern auch um Leib und Leben. El Salvador sollte davon nicht ausgenommen werden.

Wer steckt hinter den Pegasus Angriffen in El Salvador?

Bislang haben weder der Staat noch die Regierung Bukele Antworten dazu geliefert, wer hinter den Angriffen steckt und wo sich die von unseren Geräten gestohlenen Daten befinden. Statt eine ernstzunehmende Untersuchung einzuleiten, um die Urheber*innen dieser Überwachungsmaßnahme festzustellen, haben wir es mit einem Parlament zu tun, das die unter dem Vorwand der „Verbrechensbekämpfung“ von Präsident Bukele eingereichten Gesetzesvorschläge zur Telekommunikationsüberwachung einhellig begrüßt und durchwinkt. Dabei legen die Abgeordneten denselben Impetus an den Tag wie die NSO Group, wenn das Unternehmen dazu befragt wird, auf welche Weise die Kund*innen seiner Software das Werkzeug einsetzen und missbrauchen. „NSO stellt seine Software ausschließlich legitimen und offiziell geprüften Nachrichtendiensten sowie Justizbehörden zur Verfügung, die diese Systeme auf lokale richterliche Anordnung hin zum Kampf gegen Verbrecher*innen, Terroristen und Korruption einsetzen.“ Das war die Antwort der NSO Group, als wir die Firma um ein Interview zum Thema Pegasus in El Salvador baten. Besonderes Augenmerk verdient dabei der Absatz: „die diese Systeme auf lokale richterliche Anordnung hin […] einsetzen“. Die Realität sieht leider anders aus: Dieses Programm wurde – ungeachtet jeglicher richterlicher Anordnungen, die es gegeben haben mag – dafür eingesetzt, Journalist*innen, Aktivist*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen in aller Welt auszuspionieren.

In El Salvador werden Grundrechte verletzt und niemand wird zur Verantwortung gezogen. Punkt. Bereits die bloße Tatsache, Missstände anzuprangern, macht beliebige Personen in den sozialen Netzwerken zur Zielscheibe einer politischen Klasse, die mit der Regierungspartei verbündet und die bereit ist, jede Person, die ihre Stimme erhebt, als Verbrecher*in zu brandmarken. Unter völliger Straflosigkeit können sie andere diskreditieren, ihnen die Legitimität absprechen, sie diffamieren oder auch beschuldigen, einfach weil es ein System gibt, das ihnen zu Diensten steht.

Wie soll man keine Wut empfinden, wenn ein Staat Grundrechte mit Füßen tritt und mit seinem Schweigen versucht, die Dramatik einer Situation zu kaschieren, bei der Überwachungstechniken gegen Bürger*innen eingesetzt werden, die Verbrecher*innen vorbehalten sein sollten? „Diejenigen, die wegen der Reformen am Sondergesetz zur Telekommunikationsüberwachung beunruhigt sein sollten, sind jene, die mithilfe dieser Kommunikation illegalen Aktivitäten nachgehen“, sagte der Abgeordnete Carlos Bruch von der Partei Nuevas Ideas wenige Tage, nachdem die letzte Reform verabschiedet worden war. Wie sollte man angesichts solcher Aussagen keine Frustration und Enttäuschung empfinden?

Was beunruhigt, sind nicht die Reformen an sich, sondern der mögliche Missbrauch, dem sie Tür und Tor öffnen. Und niemand – ich wiederhole: niemand – wird in der Lage sein, Bürger*innen Antworten zu geben, die das Gefühl haben, von Überwachungsmaßnahmen betroffen zu sein. In diesem Fall werden jegliche Klagen auf taube Ohren stoßen, denn in El Salvador wurden Spionageaktivitäten legalisiert.

Übersetzung aus dem Spanischen von Sebastian Landsberger


Aufzeichnung einer Veranstaltung zum Thema von unserem Büro in San Salvador, 22.11.2022
Stand der Meinungsfreiheit und der Sicherheit der journalistischen Praxis in Zentralamerika
Sprache: Spanisch

El Estado de la Libertad de Expresión y la Seguridad del Ejercicio Periodístico en Centroamérica - Fundación Heinrich Böll Oficina San Salvador

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