Thailand: Politische Verfolgung trotz neuer ziviler Regierung

Kommentar

Wenn die neue Regierung nicht aufhört, politisch Andersdenkende zu verfolgen, scheint eine Versöhnung unerreichbar.

Bangkok Shutdown February 1, 2014

Trotz des Übergangs von einer Militär- zu einer Zivilregierung werden friedliche Proteste und legitime prodemokratische Aktivitäten nach wie vor kriminalisiert. Arnon Nampa, ein berühmter Menschenrechtsanwalt und Anführer von Protesten wurde zu einer vierjährigen Haftstrafe verurteilt, weil er eine Reform der thailändischen Monarchie forderte. Derzeit sind 15 weitere Thailänder*innen, darunter zwei Minderjährige, aufgrund einer Meinungsäußerung oder eines Social-Media-Beitrags über die königliche Familie inhaftiert. Über 100 anderen Personen, die der Majestätsbeleidigung beschuldigt werden, droht 2024 das gleiche Schicksal.

Rückschlag für die Demokratie nach den Wahlen vom Mai 2023

Obwohl die progressive Move-Forward-Party (MFP) bei den Wahlen im Mai 2023 mit 151 von 500 bzw. rund 37 Prozent der Stimmen die meisten Sitze im Unterhaus gewinnen konnte, verhinderten die vom Militär ernannten Mitglieder des Senats, des Oberhauses der Nationalversammlung, und die pro-militärischen Parteien, dass die siegreiche Partei die Regierung bilden konnte. Schlimmer noch: Das Verfassungsgericht könnte die Auflösung der MFP beschließen, da sie sich im Wahlkampf für eine Änderung des drakonischen Gesetzes gegen Majestätsbeleidigung ausgesprochen hatte.

Die Pheu-Thai-Partei (PTP), die als zweitstärkste Partei aus den Wahlen vom Mai 2023 hervorging, führt jetzt die Regierung an. Politische Expert*innen glauben, dass die Partei de facto vom früheren Premierminister Thaksin Shinawatra gelenkt wird. Die Partei kam deshalb an die Macht, weil sie sich mit den promilitärischen Parteien zusammenschloss, deren Führungen seinerzeit dafür gesorgt hatten, dass die Regierungen von Thaksin Shinawatra und seiner Schwester Yingluck Shinawatra 2006 bzw. 2014 durch Militärputsche abgesetzt wurden. Der Verdacht, dass es zwischen der PTP und der herrschenden Elite zu Abmachungen gekommen ist, erhärtete sich durch die Rückkehr Thaksin Shinawatras, der bis dahin der Erzrivale des Establishments gewesen war und nun nach über einem Jahrzehnt aus dem freiwilligen Exil zurückkam und kurz darauf vom König begnadigt wurde.

Die politische Verfolgung geht genauso weiter wie bisher

Vor dem Hintergrund dieser politischen Manöver der monarchisch-militärischen Eliten wurden in Thailand fast 2.000 Menschen, darunter 286 Minderjährige, auf der Grundlage verschiedener repressiver Gesetze angeklagt, seit die prodemokratische Bewegung Ende 2020 das gesamte Land erfasste. Und auch nach dem Machtantritt der PTP im September 2023 weist nichts darauf hin, dass die Obrigkeit aufhören wird, Gesetze als Waffe einzusetzen, um Regimekritiker zum Schweigen zu bringen. Dass die promilitärischen Parteien, die während der vorherigen Legislaturperiode die Massenverfolgung von prodemokratischen Aktivist*innen überwachten, nun Teil der Regierungskoalition sind, verstärkt die Sorge, dass die politische Verfolgung nicht so schnell ein Ende haben wird.

Besonders problematisch ist das Gesetz gegen Majestätsbeleidung, mit dem Menschen, die den König, die Königin, den Thronfolger oder Regenten beleidigen, zu einer Haftstrafe von 3 bis 15 Jahren verurteilt werden können. Seit Ende 2020 wurden über 250 Menschen, darunter 20 Minderjährige, unter diesem Gesetz angeklagt. Im Juli 2023 wurde der Jugendliche Sainam der Majestätsbeleidung für schuldig befunden, weil er König Rama X. „verspottet“ habe, als er sich einen Schriftzug auf den Körper geschrieben hatte, der lautete: „Der Name meines Vaters ist Mana, nicht Vajiralongkorn“ (der Name von König Rama X. ist Vajiralongkorn). Der jugendliche LSBTQ-Aktivist „Petch“ war der erste Minderjährige, der gleich zweimal unter diesem drakonischen Gesetz verurteilt wurde, nur weil er sich in Reden kritisch über das thailändische Königshaus geäußert hatte. Bis einschließlich November 2023 fällten thailändische Gerichte in einem Zeitraum von nicht einmal zwei Jahren mindestens 100 Urteile wegen Majestätsbeleidigung.

Anfang des Jahres wurde gegen eine Jugendliche namens Yok ein Strafverfahren wegen eines Vergehens eingeleitet, das sie im Alter von nur 14 Jahren begangen hatte. Sie wurde unter Gewaltanwendung festgenommen und wegen Majestätsbeleidigung inhaftiert. Damit war sie die Jüngste, die unter diesem Gesetz angeklagt wurde. Bei ihrer Verhaftung kniete ein Polizeibeamter auf ihr, während die anderen Beamten sie auf den Boden drückten. Dann wurde sie über 50 Tage in einer Jugendstrafanstalt festgehalten, bevor sie endlich entlassen wurde. Durch die Klage gegen Yok und die übermäßige Gewaltanwendung bei ihrer Verhaftung alarmiert, hat die UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierungen die thailändische Regierung in einem Appell daran erinnert, dass das Gesetz gegen Majestätsbeleidung „in der Praxis nicht dazu dienen darf, die freie Meinungsäußerung zu unterbinden“.

Das war nicht das erste Mal, dass diese Arbeitsgruppe die Regierung Thailands aufforderte, entweder das Gesetz gegen Majestätsbeleidigung zu ändern oder seine Anwendung zu überprüfen. Sie bewertete seit 2012 alle Inhaftierungen, die aufgrund des Gesetzes gegen Majestätsbeleidigung erfolgten, als „willkürlich“. Im Februar 2021 betonte der Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen: „Gesetze gegen Majestätsbeleidigung haben keinen Platz in einem demokratischen Land.“

Die Aussicht, dass sich die Situation für Menschen, denen Majestätsbeleidigung vorgeworfen wird, unter der neuen, von der PTP geführten Regierung, verbessert, ist eher düster. Obwohl sich der jetzige Premierminister Srettha Thavisin in seinem Wahlkampf noch für eine Änderung des Gesetzes ausgesprochen hatte, scheinen er und seine Partei nach den Wahlen von ihren Worten abgerückt zu sein. Um mit den Stimmen der nicht gewählten, promonarchischen Senatsmitglieder der 31. Premierminister Thailands zu werden, äußerte Thavisin entgegen seines Wahlversprechens, dass er eine Änderung des Gesetzes gegen Majestätsbeleidung nicht unterstützen werde. Als er nach seinem Amtsantritt in einem Interview zu dem Gesetzt befragt wurde, sagte er klar und deutlich, das Gesetz nicht ändern zu wollen, sondern es den ordentlichen Gerichtsverfahren zu überlassen, die Problematik anzugehen.

Das Recht auf Entlassung gegen Kaution wird verweigert

Gegenwärtig befinden sich in Thailand über 20 prodemokratische Aktivist*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen im Gefängnis, obwohl sie noch gar nicht wegen eines Gesetzesverstoßes rechtskräftig verurteilt wurden. In mindestens einem Fall hat ein wegen seiner Beiträge in den sozialen Medien der Majestätsbeleidigung Beschuldigter bereits über 200 Tage im Gefängnis verbracht, obwohl sein Gerichtsverfahren noch nicht einmal begonnen hat. Für diese politischen Gefangenen laut die Regel offenbar, „als schuldig zu gelten, bis ihre Unschuld bewiesen ist“.

Im Fall des oben bereits erwähnten Menschenrechtsanwalts Arnon Nampa, einem Vater von zwei kleinen Kindern, hat das Gericht seit seiner Verurteilung am 26. September 2023 alle Anträge auf Freilassung gegen Kaution abgelehnt. Trotz seiner Freiheitsstrafe arbeitet Arnon Nampa weiterhin als Anwalt in über 20 Menschenrechtsverfahren. Wenn er seine Mandant*innen vor Gericht vertritt, erscheint er in brauner Häftlingskleidung und mit Fußfesseln. Wenn er barfuß auf dem kalten Boden des Gerichtssaals herumläuft, ist das metallische Klirren seiner Fußfesseln zu hören. Aber weder seine Fußfesseln noch seine Haftstrafe haben ihm die Überzeugung geraubt, mit der er seine Mandant*innen verteidigt, von denen viele ebenfalls wegen Majestätsbeleidung angeklagt wurden.

Die Schwierigkeit, eine Freilassung auf Kaution gewährt zu bekommen, zeigt sich daran, dass zu viele politische Gefangene ihr Leben aufs Spiel setzen und in den Hungerstreik treten, um für ihr Recht auf Freilassung gegen Kaution zu kämpfen. Als die PTP im September 2023 an die Macht kam, befanden sich gerade zwei prodemokratische Aktivist*innen, die wegen Majestätsbeleidigung angeklagt waren, im Hungerstreik, um dagegen zu protestieren, dass das Gericht wiederholt ihre Kautionsanträge abgelehnt hatte. Aufgrund ihres kritischen Gesundheitszustands beendeten beide nach etwa anderthalb Monaten ihren Hungerstreik. Bisher hat die neue Regierung noch nichts unternommen, um gegen die systematische Verletzung des Rechts der Inhaftierten auf Freilassung gegen Kaution vorzugehen.

Ein langer Weg zur Versöhnung?

In seiner Regierungserklärung vor dem Parlament sprach Premierminister Thavisin von Versöhnung als einem neuen Kapitel in Thailands Politik. Es ist schwer vorstellbar, wie diese Versöhnung je zu erreichen sein soll, wenn die Regierung immer wieder neue Anklagen gegen prodemokratische Aktivist*innen erhebt und die Strafverfolgung in über 1.000 Fällen beharrlich fortsetzt. Das Land kann nicht vorankommen, wenn die Menschen weiterhin dafür bestraft werden, politische Ansichten zu vertreten, die dem Staat nicht zusagen.

Ein Ausweg aus dieser Krise könnte sein, dass die Regierung den Mitgliedern der prodemokratischen Bewegung ein Friedensangebot macht, indem sie den Opfern politischer Verfolgung Amnestie gewährt. Der Gedanke einer Amnestie als Neuanfang ist nicht neu in der modernen politischen Geschichte Thailands und der Geltungsbereich der Amnestie muss vorsichtig abgesteckt werden. Beispielsweise sollten Fälle von Machtmissbrauch durch Regierungsbeamte oder das Militär nicht unter diese Amnestie fallen. So sollten diejenigen, die dafür verantwortlich sind, dass 2010 bei dem harten Vorgehen des Militärs gegen Protestierende fast 100 Menschen getötet wurden, von allen zukünftigen Amnestiegesetzen ausgeschlossen werden. Auch wenn politische Versöhnung von großer Bedeutung ist, muss die Kultur der Straffreiheit von Machtmissbrauch in Thailand ein Ende haben.

Die neue Regierung steht zweifellos vor vielen schwierigen Herausforderungen. Eine der größten davon ist die Entscheidung, wie sie mit den über 1.000 Fällen der politischen Verfolgung ihrer Bürger*innen umgehen will. Sollte sie die Idee einer Amnestie nicht ernsthaft in Erwägung ziehen, wird Frieden in einem Land, in dem eine abweichende politische Meinung den Grund für eine Gefängnisstrafe darstellt, ein schwer umsetzbares Konzept bleiben.