Auch in Mexiko: Verbot der grausamen „Konversionstherapien“

Kommentar

In Mexiko sind mehr als eine halbe Million LGBTIQ+ Personen „Therapien“ zum Opfer gefallen, die ihre sexuelle Orientierung, Geschlechtsidentität und -ausdruck ändern oder unterdrücken sollen. Diese Praktik ist entwürdigend, unmenschlich und grausam. Die Organisation YAAJ entstand aus dem Protest gegen diese „Therapien“ und kämpft seitdem für die Rechte von LGBTIQ+ Personen.

Gruppe junger Menschen mit Regenbogenflagge

Vom Sonntag im Park zur zivilgesellschaftlichen Organisation

2008 begann eine Gruppe junger Menschen sich Sonntags in einem Park in Mexiko-Stadt zu treffen. Sie hatten sich als queer geoutet, wurden deswegen von ihren Eltern verstoßen und fanden schließlich auf der Straße Zuflucht.  Die universellen Menschenrechte und ihre Gültigkeit für alle Menschen auf der Welt waren ihnen nicht geläufig. Aus diesen sonntäglichen Treffen im Park entwickelte sich eine Gruppe, die die Aufmerksamkeit einer LGBTIQ+ -Rechtsorganisation aus den USA auf sich zog und die schließlich einem der Mitglieder 2011 die Teilnahme an einem Kurs über Menschenrechte und Diskriminierung in San Francisco finanzierte. Angeregt von dem Kurs wollte er zurück in Mexiko andere unbedingt vor der Diskriminierung, die er erlebt hatte, bewahren. So wurde aus der sonntäglichen Gruppe eine zivilgesellschaftliche Organisation gegen die Diskriminierung der LGBTIQ+ Gemeinschaft in Mexiko.

Der Verein wurde unter dem Namen Yaaj Transformando tu Vida, A.C. gegründet. Yaaj bedeutet Liebe in der Sprache der Maya. Die Heinrich-Böll-Stiftung in Mexiko-Stadt war die erste Stiftung, die Yaaj finanziell unterstützte. Die sonntäglichen Treffen der Gruppe wurden fortgesetzt. Es wurde immer deutlicher, dass die meisten Mitglieder sogenannte „Konversions“- oder auch „Bekehrungstherapien“ durchlitten, ohne zu wissen, dass diese einen bestimmten Namen hatten. Über den Kurs in San Francisco vernetzte sich Yaaj mit einer weiteren Aktivist*innengruppe in den USA, die dort für ein Gesetz gegen „Konversionstherapien“ kämpfte. So nahm sich auch die mexikanische Gruppe immer mehr dem Thema an.

Einstehen für mehr Akzeptanz

Yaaj begann öffentlich gegen die „Konversionstherapien“ und die Diskriminierung von LGBTIQ+ Personen zu arbeiten z.B. mit der Veröffentlichung umfangreicher Informationen zu internationalen Maßnahmen gegen diese menschenrechtsverletzenden Praktiken, darunter: „Una encuesta situacional para ver la violencia y discriminación a las juventudes LGBTI+ del país“ (2016) sowie das Dossier „Por una terapia de aceptación y no de conversión“ (2017). Yaaj fand dafür immer mehr Unterstützung. Ein Lastwagen mit dem Slogan „Homosexualität ist keine Krankheit“ wurde gemietet. Mitglieder von Yaaj begannen von ihren eigenen Erfahrungen zu berichten.  All dies verschaffte Yaaj eine größere Sichtbarkeit im Land und sensibilisierte die mexikanische Öffentlichkeit gegen die sogenannten „Konversionstherapien“.

Trotzdem führten diese Bemühungen und die dadurch entstandene Öffentlichkeit in Mexiko zunächst nicht zu einer Verbesserung der Rechte von LGBTIQ+ Personen.

Kampf für ein gesetzliches Verbot der Konversionstherapien

Mit dem Amtsantritt der Regierung Andrés Manuel López Obrador im Jahr 2018 brachte Yaaj gemeinsam mit drei Senator*innen aus drei verschiedenen Parteien einen Gesetzesentwurf gegen die „Konversionstherapien“ ein. Der Gesetzentwurf wurde nicht nur im Senat eingebracht, sondern auch der Regierung des Bundesstaats Mexiko-Stadt vorgelegt. Yaajs Annahme, dass rechte Politiker*innen sich auf das Bundesgesetz konzentrieren und versuchen würden, es zu blockieren, bestätigte sich. So wurde dem Gesetzesvorschlag im Bundesstaat Mexiko-Stadt weniger Aufmerksamkeit geschenkt.

2019, ein Jahr später, reiste Ivan Tagle, Direktor von Yaaj mit einer kleinen Delegation aus Mexiko nach Deutschland, um mehr über die Herausforderungen der deutschen Gesetzgebung zu lernen. Der damalige Gesundheitsminister, Jens Spahn (CDU), hatte 2019 einen Gesetzesentwurf gegen „Konversionstherapien“ in Deutschland vorgelegt. 2020 kam es zur Verabschiedung. Pandemiebedingt und durch die Vorteile digitaler Kommunikation unterstützten nun auch internationale Aktivist*innen ein Verbot der „Konversionstherapien“ in Mexiko in virtuellen Lobbyterminen mit mexikanischen Senator*innen.

Zwei Jahre nach dem Einreichen des Gesetzesvorschlages im Jahr 2018 wurde der Bundesstaat Mexiko-Stadt schließlich am 24. Juli 2020 der erste Bundesstaat in Mexiko, der die „Konversionstherapien“ auf staatlicher Ebene verbot und unter Strafe stellte. 13 weitere Bundesstaaten, darunter Oaxaca, Baja California Sur und Jalisco, haben seitdem ebenfalls Verbote erlassen. 18 Bundesstaaten lassen die menschenrechtsverletzende Praktiken weiterhin zu. Von diesen 18 wurde inzwischen in 14 Bundesstaaten der Gesetzesvorschlag in Kommissionen vorgetragen. Die Bundesstaaten Guerrero, Durango und Chiapas haben sich dem Thema immer noch nicht angenommen.

Strategische Kommunikation führt zum langersehnten Gesetz

Nach vielen Änderungsanträgen und Debatten zur Gesetzesreform gegen „Konversionstherapien“ auf Bundesebene, die von der Fraktion der konservativen PAN-Partei mit dem Argument initiiert wurden, dass das Gesetz alle Eltern gefährden würde, verabschiedete das Senatsplenum schließlich am 11. Oktober 2022 die Reform des Bundesstrafgesetzbuchs und des Allgemeinen Gesundheitsgesetzes. Damit sind „Konversionstherapien“ auch auf Bundesebene verboten und strafbar.

Der Senat schlägt nun ergänzend vor, „Straftaten gegen die sexuelle Orientierung oder die Geschlechtsidentität von Personen“ neu in das Bundesstrafgesetzbuch aufzunehmen. Konkret soll jede Person, die eine Behandlung, Therapie oder Dienstleistung (die die sexuelle Orientierung, die Geschlechtsidentität oder den Geschlechtsausdruck einer Person einschränkt) durchführt, anbietet oder finanziert mit zwei bis sechs Jahren Gefängnis und einer hohen Geldstrafe bestraft werden. Der Gesetzentwurf sieht außerdem vor, dass die Strafen verdoppelt werden, wenn derartige "Praktiken" an Personen unter 18 Jahren, an Menschen mit Behinderungen oder an älteren Menschen vorgenommen werden oder wenn ein untergeordnetes Verhältnis besteht, wie z. B. ein Verhältnis als Lehrer*in, Hausangestellte*r, Arzt/Ärztin oder es sich um ein Arbeitsverhältnis handelt. Berufsangehörige, die sich an solchen Praktiken beteiligen, werden für bis zu drei Jahre von der Berufsausübung ausgeschlossen. Im Wiederholungsfall wird die Berufszulassung dauerhaft entzogen.

Der oberste Gerichtshof erklärt das Gesetz vorläufig für ungültig

Am 28. April 2023 genehmigten die Ausschüsse für Justiz, Gesundheit und Vielfalt der Abgeordnetenkammer das Gesetzesvorhaben. Es fehlte nur noch die Abstimmung im Plenum. Der oberste Gerichthof prüfte jedoch das Gesetz nach einer Anfechtung und befand es für ungültig. Sein juristisches Argument bezog sich auf den begrenzten Zeitraum, für den eine Berufszulassung nur entzogen werden kann. Das Gesetzesvorhaben muss also nochmals angepasst werden, um dann nach Verabschiedung in der Abgeordnetenkammer wieder vom Senat verabschiedet zu werden.

Wird mit einer neuen Regierung in 2024 alles besser?

Mit den Präsidentschaftswahlen 2024 im Mexiko steht Yaaj vor neuen Herausforderungen.  Noch ist nicht klar, was von einer neuen Regierung erwartet werden kann. Um das Verständnis für Diversität in der neuen mexikanischen Regierung breiter aufzustellen, unterstützt Yaaj politische Strategien für den Wahlkampf von LGBTIQ+ Kandidat*innen, z.B. in Form von Kampagnen wie „Voto por la Igualdad“. Mehr LGBTIQ+ Abgeordnete und Senator*innen führen zu mehr Repräsentanz – weit über das endgültige und mexikoweite Verbot der „Konversionstherapien“ hinaus.

Rechtliche Situation in der Welt

Ende 2021 gab es weltweit nur in fünf Ländern Gesetze, die „Konversionstherapien“ in ihrem gesamten Staatsgebiet ausdrücklich untersagten. Zwischen Ende 2021 und Juli 2023 sind Kanada, Griechenland, Neuseeland, Zypern, Island und Spanien mit Gesetzen und Durchführungsmaßnahmen hinzugekommen. In sechs weiteren Ländern sind entsprechende Gesetze in Vorbereitung.

Gesetzliche Maßnahmen zum Verbot der Konversionstherapie

Brasilien (1999), Ecuador (2014), Malta (2016), Deutschland (2020), Frankreich (2021), Kanada, Griechenland, Neuseeland (2022), Zypern, Island, Spanien (2023)

Länder mit derzeit anstehenden Gesetzesprozessen

Irland seit 2020, Chile seit 2021, Norwegen seit 2021, Portugal seit 2021, Belgien seit 2022, Niederlande seit 2022

Länder mit Verboten auf Bundesebene

- erster Bundesstaat: Kalifornien, Vereinigte Staaten von Amerika (2012)

- erster Bundesstaat: Australian Capital Territory, Australien (2020)

- erster Bundesstaat: Mexiko-Stadt, Mexiko (2020)