Auswirkungen von Pestiziden auf den weiblichen Körper

Pestizidatlas

Wie sich der direkte oder indirekte Kontakt mit Pestiziden auf die Körper der Frauen in Brasilien auswirkt, belegen Studien. Etwa die Folgen für schwangere Frauen. Es sind die Frauen, die aufgrund dieser besonderen Gefährdung, in der vordersten Reihe gegen den Einsatz von Pestiziden kämpfen.

Die Untersuchungen über die Verunreinigung der Muttermilch zeigen, dass Säuglinge von den ersten Lebenstagen an mit Pestiziden in Kontakt kommen.

Brasilien ist weltweit mit etwa 63.994.479 Hektar das Land mit der fünftgrößten landwirtschaftlichen Nutzfläche. Das entspricht 7,6% der Gesamtfläche des Landes. Großgrundbesitzer*innen haben das Monopol auf den größten Teil dieser Fläche für Monokulturen wie Soja, Mais oder Baumwolle oder Viehzucht. Dieses landwirtschaftliche Modell ist abhängig von chemischen Stoffen.  Jährlich werden Millionen Liter Pestizide und Düngemittel eingesetzt, obwohl sie als giftig für die menschliche Gesundheit und für die Umwelt gelten. Die aktuelle wissenschaftliche Literatur sowie Dokumente der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) stufen viele dieser chemischen Wirkstoffe bei dauerhaftem Kontakt mit Menschen als krebserregend, erbgutverändernd und reproduktionstoxisch ein. So kann eine Pestizidvergiftung auch zu Fehlgeburten oder gar zur Unfruchtbarkeit aufgrund hormoneller Störungen führen.

Der Bundesstaat Mato Grosso steht an erster Stelle der Bundesstaaten mit der größten landwirtschaftlichen Produktion und dem höchsten Pestizideinsatz. Studien belegen die Auswirkungen der Wirkstoffe auf die physische, mentale und emotionale Gesundheit von Frauen in Mato Grosso. Abgesehen von herkömmlichen Vergiftungsanzeichen wie Kopfschmerzen, Dermatitis und Schlafstörungen oder der Diagnose chronischer Krankheiten wie Krebs, kann eine Pestizidvergiftung auch zu Fehlgeburten oder gar zur Unfruchtbarkeit aufgrund einer endokrinen Disruption führen.  So zeigte eine der in Mato Grosso durchgeführten Studien, dass in den Gemeinden mit intensiver Landwirtschaft bei Frauen von 10 bis 49 Jahren die höchsten Fehlgeburtsraten vor der 20. Schwangerschaftswoche (SSW) auftreten. Im Zeitraum von 2016 bis 2018 gab es 2.700 Fehlgeburten vor der 20. SSW bei 47,5% der betroffenen Frauen im Alter zwischen 20 und 29 Jahren. Die beobachteten Fehlgeburtsraten sind im Vergleich zum nationalen Durchschnitt erhöht: Auf 10.000 Frauen kamen im Durchschnitt 9 Fehlgeburten, während der nationale Durchschnitt bei gleicher Berechnung bei 5 lag. Darüber hinaus kann die erhöhte Pestizidexposition durch z.B. die Nachbarschaft der Wohnhäuser zu den Feldern auch mit angeborenen Fehlbildungen bei Neugeborenen im Zusammenhang stehen.

Bei einer anderen Studie in der Gemeinde Lucas do Rio Verde (ebenfalls Bundesstaat Mato Grosso) wurden Pestizide, die als persistente organische Schadstoffe (Persistent Organic Pollutants, POPs) eingestuft sind, in der Muttermilch nachgewiesen. Bei dieser Arbeit wurden Milchproben von 62 stillenden Wöchnerinnen analysiert. Die Ergebnisse: alle Proben waren mit mindestens einem der zehn untersuchten Stoffe kontaminiert, darunter: Trifluralin, α-HCH, Lindan, Aldrin, α-Endosulfan, p,p'-DDE, ß-Endosulfan, p,p'-DDT, Cypermethrin und Deltamethrin. Die meisten Rückstände stammten von der Chemikalie p,p'-DDE (in 53% der Proben nachgewiesen), darauf folgte Aldrin (8%) sowie p,p'-DDT und ß-Endosulfan (jeweils 5%). Auch die anderen Pestizide waren vorhanden, jedoch in Konzentrationen unterhalb der Nachweisgrenzen.

Die Untersuchungen über die Verunreinigung der Muttermilch zeigen, dass Säuglinge von den ersten Lebenstagen an mit Pestiziden in Kontakt kommen.
Die Untersuchungen über die Verunreinigung der Muttermilch zeigen, dass Säuglinge von den ersten Lebenstagen an mit Pestiziden in Kontakt kommen.

Es arbeiten mehr Männer als Frauen im industriellen Agrarsystem, vor allem direkt auf den Plantagen. Frauen arbeiten vor allem als technische Hilfskräfte oder als angestellte Köchinnen oder Sekretärinnen von großen Betrieben. Auf diesen Positionen sind Frauen den Pestiziden sowohl direkt als auch indirekt ausgesetzt. Es gibt zahlreiche Situationen in denen sie in Kontakt mit Pestiziden kommen: Bei der Lagerung von landwirtschaftlichen Maschinen, dem Zwischenhandel mit Pestiziden, über die Verarbeitung von Agrarerzeugnissen der landwirtschaftlichen Industrie, bis hin zur Hausarbeit, etwa beim Waschen der mit Pestiziden verunreinigten Kleidung des Partners.

Die Ungleichheiten beim Besitz von Land lassen sich auch über die Kategorien „ethnische Zugehörigkeit“ (im Portugiesischen „raça“) und Geschlecht darstellen. In der regelmäßigen nationalen Erhebung über den Landwirtschaftssektor (Censo Agropecuário) werden diese Kategorien erst seit 2017 erfasst.
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An dieser Stelle soll auch auf eine weitere, hauptsächlich weibliche Arbeitnehmer*innengruppe aufmerksam gemacht werden, die in täglichem Kontakt mit Pestiziden ist: Die Gesundheitsfachkräfte zur Bekämpfung von Endemien[1]. In ihren Taschen tragen diese Arbeiterinnen täglich, zusammen mit ihren persönlichen Gegenständen, ein Biolarvizid und Insektizid aus der chemischen Gruppe der Spinosyne (wie Spinosyn A) mit sich herum. Es soll eine Fehlentwicklung bei den Mückenlarven verursachen und ist, laut den Angaben auf der Verpackung, bei Verschlucken, Einatmen oder Kontakt mit der menschlichen Haut gesundheitsschädlich. Es handelt sich um eine Tablette, die zerstoßen werden muss. Der Kontakt mit dem Staub kann leichte Reizungen der Augen, der Nase, des Halses, der Lunge und der oberen Atemwege hervorrufen. Welche Schäden das Insektizid langfristig auf die Gesundheit dieser Arbeiterinnen haben wird, ist nicht genau untersucht.

Weltweit stellen Frauen ca. 43% der Arbeitskraft in der Landwirtschaft, wobei diese Schätzung als noch zu niedrig angenommen wird. Die von ihnen geleistete Arbeit in der Subsistenzlandwirtschaft, die nicht entlohnte Arbeit innerhalb der Familien oder auch saisonale Arbeit, die häufig Frauen und Mädchen ausführen, wird selten erfasst, obwohl die

Frauen wird immer wieder der Zugang zu Land verwehrt. Für viele Frauen in Lateinamerika ist die Erbschaft die einzige Möglichkeit, an Land zu kommen.
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Frauen bei diesen Aktivitäten regelmäßig Pestiziden ausgesetzt sind. Frauen bringen in vielen Ländern und Sektoren in der Praxis die Pestizide aus: Auf den Kaffee- und Obstplantagen in Südafrika sowie auf Bananenplantagen in Costa Rica oder Malaysia sind es zum Beispiel etwa 300.000 Frauen, die das Spritzen der Pflanzen übernehmen.

Frauen verdienen nicht nur aufgrund der krassen Auswirkungen der Pestizide auf sie, ihre Körper und die Körper ihrer Kinder besondere Aufmerksamkeit. Auch im Widerstand gegen den Einsatz von Pestiziden sind sie die wichtigsten Akteure: In der Wissenschaft sind mehrheitlich Frauen an den oben genannten Studien beteiligt. Auch zivilgesellschaftliche und gewerkschaftliche Bewegungen werden von Landarbeiterinnen angeführt, die für ein gesünderes, nachhaltigeres und gerechteres landwirtschaftliches Produktionsmodell eintreten. Ein Beispiel für ihren Kampf sind agrarökologische Gärten, die historisch von Bäuerinnen betrieben werden. Bei dieser Anbauform werden Gärten, Beete, Obsthaine, Heilpflanzen und die Zucht von kleinen Tieren miteinander verbunden.


[1] A.d.Ü.: Gesundheitsfachkräfte, die in Brasilien den Ausbruch von Endemien wie u.a. Dengue, Leishmaniose oder Malaria bekämpfen sollen. Sie inspizieren insbesondere das Wasser in öffentlichen und privaten Gebäuden und auf Grundstücken, um endemische Herde aufzudecken und mit Larviziden oder Insektiziden zu behandeln.


Der Beitrag erschien zuerst auf Portugiesisch im Pestizidatlas des Brasilienbüros der Heinrich-Böll-Stiftung. Er ist auch auf der Webseite des Büros erschienen. Auf der Büro Webseite finden Sie weitere portugiesischsprachige Beiträge, Graphiken sowie Kurzvideos mit einigen Autor*innen.

Übersetzung aus dem Portugiesischen: Kirsten Grunert

Redaktion: Julia Ziesche und Mareike Bödefeld