Digitalisierung: Wer profitiert von der Landwirtschaft 4.0?

Pestizidatlas

Neue Technologien in der Landwirtschaft könnten Vorteile für die Ernährung, Wirtschaft und Umwelt bringen. Doch multinationale Unternehmen, die bereits den Pestizidmarkt bestimmen, führen den Wettlauf um die Digitalisierung an.

In Brasilien steckt die Landwirtschaft 4.0 noch in den Kinderschuhen. Die meisten Bäuerinnen und Bauern geben an, dass sie für ihre Arbeit vor allem die sozialen Netzwerke nutzen.
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In Brasilien steckt die Landwirtschaft 4.0 noch in den Kinderschuhen. Die meisten Bäuerinnen und Bauern geben an, dass sie für ihre Arbeit vor allem die sozialen Netzwerke nutzen.

2019 veröffentlichte die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) eine detaillierte Studie zu den Auswirkungen der aktuellen technologischen Revolution auf den landwirtschaftlichen Sektor, der sogenannten vierten industriellen Revolution. Seitdem wuchs die Zahl an Studien zur Landwirtschaft 4.0.

Digitale Technologien für die Landwirtschaft werden, wie auch in anderen Bereichen der Wirtschaft, hauptsächlich aus einer positiven Perspektive beleuchtet. Der Agrar- und Lebensmittelsektor müsse seine Produktivität steigern um mit dem Wachstum der Weltbevölkerung Schritt halten zu können – das würde durch die Einführung immer neuerer Technologien möglich. Spannungen und negative Folgen dieser Entwicklungen werden dabei jedoch weitestgehend ignoriert.  Die Automatisierung der Landwirtschaft könnte gewiss einen enormen Beitrag zur Erreichung der von den Vereinten Nationen festgelegten nachhaltigen Entwicklungsziele leisten.

Das Bild zeigt die Evolution der Landwirtschaft innerhalb der letzten 10.000 Jahre. Die „Evolution" der Landwirtschaft hat zu einer immer stärkeren Landkonzentration geführt und erhebliche soziale und ökologische Auswirkungen verursacht. Die Landwirtschaft 4.0 könnte entweder den Bruch oder die Fortsetzung dieses Musters bedeuten.
Die „Evolution" der Landwirtschaft hat zu einer immer stärkeren Landkonzentration geführt und erhebliche soziale und ökologische Auswirkungen verursacht. Die Landwirtschaft 4.0 könnte entweder den Bruch oder die Fortsetzung dieses Musters bedeuten.

De Facto gibt es bereits Nachweise dafür, dass Technologien wie künstliche Intelligenz (AI), Robotik, Blockchain-Technologien und andere, gewinnbringend für die Ernährung, Wirtschaft und sogar die Umwelt sein können. Künstliche Intelligenz wird schon für ein durchgängiges Monitoring der landwirtschaftlichen Produktion eingesetzt. Mit Künstlicher Intelligenz werden Modelle entwickelt, mit denen Landwirt*innen bessere Vorhersagen und Entscheidungen treffen können, beispielsweise zum richtigen Zeitpunkt der Bewässerung. Die Präzision durch Robotik hat ebenfalls eine zentrale Rolle in der Landwirtschaft 4.0 inne: Agribots, Drohnen und andere landwirtschaftliche Roboter helfen nicht nur beim Aufbringen der Pestizide, mit ihrer Hilfe ließen sich Produktionskosten reduzieren und effizienter mit natürlichen Ressourcen wie Wasser und Böden umgehen.

Die Technologien könnten jedoch noch nachhaltiger sein, wenn der Zugang zu den Technologien gerechter verteilt wäre und diese in die Hände von Kleinbäuerinnen und -bauern gelangen würden. Doch die Entwicklung und Eigentum an diesen Technologien konzentrieren sich auf wenige multinationale Konzerne, die Patente und Technologien für sich behalten. So haben nur die großen Unternehmen in der landwirtschaftlichen Wertschöpfungskette vollen Zugriff auf diese wettbewerbsvorteilsbringenden Technologien, die auch in den Händen der Kleinbäuerinnen und -bauern großen sozialen und ökologischen Mehrwert bringen würden. 

In Brasilien steckt die Landwirtschaft 4.0 noch in den Kinderschuhen. Die meisten Bäuerinnen und Bauern geben an, dass sie für ihre Arbeit vor allem die sozialen Netzwerke nutzen.
In Brasilien steckt die Landwirtschaft 4.0 noch in den Kinderschuhen. Die meisten Bäuerinnen und Bauern geben an, dass sie für ihre Arbeit vor allem die sozialen Netzwerke nutzen.

In diesem Kontext setzt Brasilien im Bereich der Landwirtschaft 4.0 auf ein datengestütztes, hyperkonnektives Agrobusiness.  Brasilien rief 2019 das Forum „Câmara do Agro 4.0“ als Teil des Nationalplans für das Internet der Dinge ins Leben und veröffentlichte seitdem mehrere Ausschreibungen, die sich vor allem an das Agrobusiness und die Großgrundbesitzer*innen richten.

Abgesehen vom finanziellen Kapital sind in diesen Prozess noch drei weitere Akteure eingebunden: Die Big Techs (große Firmen, die den Technologiemarkt dominieren – Google, Apple, Meta, Amazon und Microsoft), die multinationalen Agrarkonzerne (die sonst mit Saatgut, Dünger und Pestiziden Gewinne erwirtschaften) und die Großgrundbesitzer*innen. Sie arbeiten entweder zusammen oder stehen im Wettbewerb miteinander. Unternehmen wie Microsoft und Google entwickeln spezifische Plattformen, mit denen sie Echtzeitdaten zu Umweltbedingungen und zur Schädlingsbekämpfung umfassend erheben, klassifizieren und analysieren können. Die FAO arbeitet mit Google im Rahmen der Technologie „Earth Map“ zusammen. Dabei geht es um raumbezogene Analysen und das Monitoring der Bedingungen von Klima, Umwelt und Landwirtschaft. Diese Zusammenarbeit führt dazu, dass finanzielle Gewinne in wenigen Händen bleiben.

Die Grafik zeigt ein Balkendiagramm, das die Profite der Präzisionslandwirtschaft in verschiedenen Bereichen wie z.B. Bewässerung und Bepflanzung zeigt.is 2025 zeigt.
Es bedarf einer guten Regulierung, damit nicht nur die Unternehmen von der der digitalen Landwirtschaft profitieren, sondern auch Mensch und Umwelt.

Da die multinationalen Agrarkonzerne an vielen Standorten vertreten sind und bereits eigene Applikationen entwickeln, sind sie den Big Techs ein Stück voraus. Mit der Übernahme von Monsanto, wurde Bayer zum Eigentümer der Plattform Climate FieldView , die sich für Brasilien selbst als die größte im Bereich der digitalen Landwirtschaft bezeichnet. Sie sammelt, verarbeitet und analysiert unter anderem Informationen zu Bodenqualität, Klima, Feuchtigkeit, Schädlingsbefall und Krankheiten, und gibt den Landwirt*innen entsprechende „Empfehlungen“, um bei identifizierten Problemen zu handeln. In der Praxis verkauft sie dabei Bayers Produkte, wie das Herbizid Roundup auf Glyphosat-Basis. Auch BASF hat eine Plattform mit ähnlichem Zweck entwickelt - Xarvio Digital Farming Solutions. Syngenta hat sich ebenfalls in diesem Rennen nicht abhängen lassen und hat, 2019 mit der Übernahme von Cropio, die Plattform CropWise entwickelt.

Auf diese Weise maximieren die multinationalen Pestizid-Konzerne den Verkauf ihrer Produkte und häufen gleichzeitig riesige Datenmengen an. Die digitalen Dienstleistungen von Syngenta werden laut ihrer Website von Landwirt*innen genutzt, die mehr als 50 Mio. Hektar Fläche auf der ganzen Welt bewirtschaften. Wenn die digitalen Technologien wie beschrieben an das Geschäftsmodell der großen Konzerne gekoppelt sind, dann profitieren Erzeuger*innen, die in der Lage sind neue digitale Technologien zu kaufen, und Unternehmen, die Stück für Stück mehr Daten speichern. Sie haben einen immensen Wettbewerbsvorteil. Damit wird die soziale und wirtschaftliche Ungleichheit unter landwirtschaftlichen Erzeuger*innen noch größer – und das, obwohl dieser Ungleichheitsindex ohnehin bereits von lateinamerikanischen Ländern wie Brasilien angeführt wird.

Ein weiterer Aspekt der Landwirtschaft 4.0 hat mit den Auswirkungen dieser Technologien auf die Beschäftigungsverhältnisse zu tun. Laut der FAO werden die neuen Technologien nicht nur die körperliche sondern auch die intellektuelle Arbeit in der landwirtschaftlichen Produktion ersetzen, beispielsweise zur datenbasierten Entscheidungsfindung.  Ohne entsprechende Planung und Begleitung durch die Regierung können neu eingeführte Technologien bittere Konsequenzen für die Arbeitswelt und das Leben von tausenden Arbeiter*innen auf dem Land haben.


Der Beitrag erschien zuerst auf Portugiesisch im Pestizidatlas des Brasilienbüros der Heinrich-Böll-Stiftung. Auf der Webseite finden Sie weitere portugiesischsprachige Beiträge, Graphiken sowie Kurzvideos mit einigen Autor*innen.

Übersetzung aus dem Portugiesischen: Kirsten Grunert
Redaktion: Julia Ziesche und Mareike Bödefeld