COP29: Aserbaidschan will internationale Legitimität und Finanzierung

Analyse

Als Gastland der 29. UN-Klimakonferenz will das autoritäre Aserbaidschan seine internationale Reputation aufbessern und Finanzierung für die Modernisierung seines Energiesektors an Land ziehen. Wie sollten demokratische Staaten und die internationale Zivilgesellschaft damit umgehen?

Hinter einer schwarzen Silhouette einer Erdölanlage geht an einem gelbem Himmel die Sonner unter

Aserbaidschan hat in den letzten Jahren international vor allem negative Schlagzeilen gemacht. Es hat jahrelang Abgeordnete der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, darunter auch Bundestagsabgeordnete, bestochen, wie vergangene Woche im deutschen Fernsehfilm und der gleichnamigen Dokumentation „Am Abgrund“ zu sehen war. Durch seine militärische Rückeroberung Bergkarabachs und der umliegenden Gebiete hat Aserbaidschan über 100.000 Karabach-Armenier*innen de facto zur Flucht gezwungen. Sie konnten sich nach neunmonatiger aserbaidschanischer Blockade der Region, die eine humanitäre Krise ausgelöst hatte, und mehreren kriegerischen Auseinandersetzungen keine Zukunft unter der Herrschaft Bakus vorstellen.

Nun will Aserbaidschan als Gastland der COP29 sein internationales Image aufpolieren. Am 7. Dezember verkündeten der armenische Premierminister Nikol Pashinyan und der aserbaidschanische Präsident Ilham Aliyev in einem ersten gemeinsamen Statement nicht nur einen Gefangenenaustausch, sondern auch, dass man sich darauf geeinigt habe, dass Armenien die Kandidatur Aserbaidschans als Gastland der COP29 unterstütze und Aserbaidschan im Gegenzug Armeniens Kandidatur als Mitglied des COP-Büros. Im November 2024 wird die UN-Weltklimakonferenz also in Baku stattfinden.

Aserbaidschan hat ein fossiles Wirtschafts- und Staatsmodell

Das alte wie das neue Baku sind auf fossilen Energien erbaut. Wie von Thomas de Waal anschaulich beschrieben, wurde die Stadt wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch den Ölboom zur wichtigen globalen Metropole, die Hitler einnehmen und so die Sowjetunion besiegen wollte. Die Sowjetunion verlagerte daher ihre Ölforderung in abgelegenere russische Regionen, sodass Aserbaidschan zum Zeitpunkt ihres Zerfalls nur einen verschwindend geringen Anteil des sowjetischen Öls produzierte. Nach dem Ende des ersten Bergkarabachkriegs im Jahr 1994 und mit der Konsolidierung der Staatlichkeit unter Heydar Aliyev, ein hochrangiger Sowjet-Funktionär und der Vater des jetzigen Präsidenten Ilham Aliyev, begann Aserbaidschan gemeinsam mit British Petroleum (BP) die Ölförderung voranzutreiben und große Profite einzufahren. Inzwischen sinkt die Ölförderung und die Reserven könnten in 25 Jahren aufgebraucht sein. Doch nach der Entdeckung des Shah-Deniz-Gasfelds im Jahr 1999 baute Aserbaidschan die Gasförderung aus, die in den nächsten Jahren weiter ansteigen soll.

Staat und Wirtschaft sind eng miteinander verwoben und politische Ökonom*innen betrachten Aserbaidschan als Rentierstaat. Die Einnahmen aus Öl und Gas werden partiell über Löhne für Staatsbedienstete an die Mittelschicht umverteilt, wodurch der Staat sich deren Loyalität sichert. Öl- und Gasexporte machen etwa 90 Prozent der aserbaidschanischen Exporte und 60 Prozent des Staatshaushalts aus. Das staatliche Energieunternehmen SOCAR betreibt Raffinerien und Pipelines und verwaltet die Im- und Exporte. Das Unternehmen nimmt mit Blick auf Klima- und Sozialstandards im Oil and Gas Benchmark Ranking der World Benchmarking Alliance einen der hintersten Plätze ein, was nicht zuletzt an der geschützen Position liegt, die das Unternehmen in Aserbaidschan genießt und es vor kostspieligen Auflagen bewahrt hat. Im Jahr 2020 befand der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Aserbaidschan für verantwortlich für die Misshandlung des investigativen Journalisten Idrak Abbasov, der von SOCAR-Sicherheitspersonal unter den Augen der Polizei verprügelt wurde. Die Flammentürme, die über Baku thronen, stehen sinnbildlich für die Verquickung von Staat und Energiewirtschaft – auch deswegen, weil sie von einer Offshore-Firma mit Verbindungen zur Regierungsfamilie erbaut wurden.

Korruption und Unterdrückung in Aserbaidschan

Aserbaidschan gehört zu den korruptesten Staaten der Welt. Im Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International belegt das Land Platz 154 von 180. Präsident Aliyev regiert das Land seit Jahren mit immer härterer Hand. Die amerikanische Nichtregierungsorganisation Freedom House bezeichnet Aserbaidschan als „unfrei“ und gibt ihm im Globalen Freiheitsindex 7 von 100 Punkten. Bereits seit Mitte 2012 hatte die Menschenrechtslage sich laut Human Rights Watch „dramatisch verschlechtert“.

Mit Festnahmen, restriktiver Gesetzgebung und Kooptierung geht das Regime gegen Oppositionspolitiker*innen und die Zivilgesellschaft vor. Unabhängige Vereine, die sich kritisch äußern, werden vom Staat nicht registriert und können keine Zuwendungen aus dem Ausland erhalten. Sogenannte GONGOs, regierungsnahe Vereine, werden hingegen staatlich finanziert und bei politischen Entscheidungen „scheinbeteiligt.“ Im Jahr 2017 wurde Aserbaidschan aufgrund der repressiven Gesetzgebung für die Zivilgesellschaft aus dem Vorstand der Initiative für Transparenz im rohstoffgewinnenden Sektor (EITI) ausgeschlossen; kurz danach trat das Land aus der Initiative aus.

Bürger*innenproteste werden meist brutal niedergeschlagen – so im Sommer 2023, als Umweltproteste gegen den Bau eines Abwasserreservoir einer Goldmine und ihre heftige Unterdrückung durch die Sicherheitskräfte das Dorf Söyüdlü erschütterten. In den Monaten vor den vorgezogenen Präsidentschaftswahlen am 7. Februar 2024, die die OSZE wegen der zahlreichen Verletzungen demokratischer Standards äußerst negativ bewertete, ging die Regierung besonders massiv gegen Kritik vor. Unter anderem wurden Gubad Ibadoglu, Gastwissenschaftler der London School of Economics und Oppositionspolitiker, sowie sechs Journalist*innen, unter anderem der investigativen Medienplattform Abzas, inhaftiert. Drei weitere Journalisten des unabhängigen Toplum TV sowie vier Aktivist*innen, die bei einem größeren Crackdown vergangene Woche verhaftet wurden, sind ebenfalls weiterhin in Haft. Sie alle werden von Menschenrechtsverteidiger*innen zu über 250 politischen Gefangenen gezählt. Bereits am 24. Januar 2024 hatte die Parlamentarischen Versammlung des Europarats in einem jährlichen Verfahren erstmals gegen die Bestätigung der aserbaidschanischen Delegation gestimmt und dabei Aserbaidschans mangelnde Umsetzung seiner Verpflichtungen als Mitglied des Europarats beklagt.

Indes ist nicht von der Hand zu weisen, dass Ilham Aliyev und seine Frau Mehriban Aliyeva, die nach einer Verfassungsänderung seit 2017 Vizepräsidentin des Landes ist, bei vielen Aserbaidschaner*innen beliebt sind. Insbesondere seit der vollständigen Wiederherstellung der aserbaidschanischen Kontrolle über Bergkarabach im Jahr 2023 hat Präsident Aliyev kurz- und mittelfristig keine ernsthafte politische Konkurrenz zu erwarten.

Aserbaidschans Klimapolitik ist wenig ambitioniert

Laut einer Studie der Weltbank und der Asiatischen Entwicklungsbank werden die Temperaturen in Aserbaidschan aufgrund der Klimakrise schneller steigen als im globalen Durchschnitt, und das Land wird mit zunehmenden Extremwetterereignissen, Einbußen in der Landwirtschaft sowie negativen Auswirkungen auf die Gesundheit ernsthaftem Klimastress ausgesetzt sein. Aserbaidschan ratifizierte die Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) im Jahr 1995 und das Kyotoprotokoll im Jahr 2000; in der Hoffnung, so internationale Finanzierung auftreiben zu können. Deutschland und Aserbaidschan vereinbarten im Jahr 2007 eine entsprechende Absichtserklärung. Bis die ersten wirkungsvollen Maßnahmen zur Hinwendung zu Erneuerbaren getroffen wurden, sollten jedoch noch einige Jahre vergehen. 2017 ratifizierte Baku das Pariser Klimaschutzabkommen. Im Jahr 2021 wurden Gesetze über die Nutzung erneuerbarer Energien in der Stromproduktion und über Energieeffizienz sowie die Nationalen Priöritäten für die Sozioökonomische Entwicklung, die „grünes Wachstum“ priorisieren, verabschiedet.

Die Klimaziele des Landes sind wenig ambitioniert und bislang kaum umgesetzt: Bis 2030 sollen die CO2-Emissionen um 35 Prozent, bis 2050 um 40 Prozent gesenkt werden; verglichen mit 1990, das heißt, vor dem Zusammenbruch der Sowjetindustrie, die für große Emissionen verantwortlich war. Bislang ist Aserbaidschan dennoch nicht auf dem Weg dahin, diese Ziele zu erreichen. Bis 2030 sollen 30 Prozent der Stromproduktion durch erneuerbare Energien erzeugt werden. Aktuell machen Erneuerbare jedoch nur sieben Prozent der Stromproduktion aus, obwohl das Potenzial für Wind- und Solarenergie groß ist. Im Oktober 2023 eröffnete Präsident Aliyev einen großen Solarpark, Investitionen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, weiteren Staaten und der EU, fließen, und auch Socar möchte nun ins „grüne Geschäft“ einsteigen. Doch eine glaubwürdige mittel- bis langfristige Strategie zum Ausbau der Erneuerbaren fehlt, und Expert*innen kritisieren, dass die Erneuerbaren primär dazu genutzt werden sollen, im heimischen Verbrauch Gas einzusparen und dieses exportieren zu können.

Brisant ist darüber hinaus: In den 2020 von Armenien zurückeroberten Gebieten soll eine „grüne Energiezone“ entstehen und auch für das restliche Karabach wird um internationale Investments geworben. Im Februar 2024 organisierte die deutsche Außenhandelskammer Aserbaidschan eine Veranstaltung zum „Wiederaufbau der Wasser- und Abwasserinfrastruktur in der Region Karabach“, die laut Medienberichten durch das deutsche Umweltministerium als Teil der Exportinitiative Umweltschutz unterstützt wurde. Bereits im November 2023 hatte die Britische Botschaft Baku eine ähnliche Veranstaltung organisiert.

Die EU ist Hauptabnehmerin der Exporte

Die EU ist mit einem Anteil von 66 Prozent der aserbaidschanischen Exporte der größte Handelspartner des Landes. Insbesondere nach der russischen Vollinvasion der Ukraine ist Aserbaidschan für die EU zu einem wichtigen Energielieferanten geworden. Im Juli 2022 vereinbarten Brüssel und Baku, die Gaslieferungen aus Aserbaidschan bis 2027 mehr als zu verdoppeln. Hierzu wären allerdings sowohl ein Ausbau der Transitinfrastruktur als auch der Gasförderung selbst notwendig. Zuletzt hat Aserbaidschan unter anderem zusätzliches Gas aus Russland und Turkmenistan (über den Iran) importiert, um den heimischen Bedarf zu decken und gleichzeitig die Exporte hochfahren zu können. Trotz der geplanten Erhöhungen sollte Aserbaidschans Rolle als Gaslieferant jedoch nicht überschätzt werden: Auch bei einem massiven Ausbau der Lieferungen wird das Land voraussichtlich nicht mehr als 5 Prozent der EU-Gasimporte bereitstellen.

Auch Strom will die EU künftig aus Aserbaidschan importieren: Im Dezember 2022 verabredeten Aserbaidschan, Georgien, Ungarn und Rumänien im Rahmen der EU-Global-Gateway-Initiative den Bau eines Untersee-Stromkabels. Ob es sich realisieren lassen wird, ist von verschiedenen Faktoren abhängig, unter anderem dem Ausbau der Erneuerbaren im Südkaukasus und dem weiteren Verlauf des russischen Angriffskrieges in der Ukraine.

COP29: Aserbaidschan will Legitimierung und Finanzierung

Sollten die Einnahmen aus fossilen Brennstoffen wegen der Hinwendung der EU zur Klimaneutralität mittelfristig versiegen, würden Aserbaidschans Wirtschaft und Staatsmodell versagen. Zur Sicherung der autoritären Stabilität muss Aserbaidschan sich also zwangsläufig den erneuerbaren Energien zuwenden, wofür es bei der COP weitere internationale Finanzierung an Land ziehen will. Außerdem kann das aserbaidschanische Regime nach der schlechten internationalen Presse der letzten Jahre ein hochrangiges Megaevent in Baku zur externen Legitimierung gut gebrauchen. Nach dem ersten PR-Misserfolg, als Aserbaidschan sein komplett männlich besetztes COP-Komitee vorstellte, wurden dem Komitee 12 Frauen hinzugefügt – übrigens ein gutes Beispiel dafür, warum die Beteiligung von Frauen nicht gleichzusetzen ist mit einem feministischen Ansatz. Mukhtar Babayev, COP-Präsident und Minister für Ökologie und Rohstoffe, hat zuvor 26 Jahre für SOCAR gearbeitet; dem COP-Komitee gehören darüber hinaus auch aktuelle Führungskräfte der fossilen Industrie an, was auf klare Interessenkonflikte hinweist.

Wie umgehen mit der COP29 in Aserbaidschan?

Leider ist Aserbaidschan weder der erste autoritäre noch der erste fossile Staat, der die COP hostet. Zur Bewältigung der Klimakrise ist Zusammenarbeit auch mit schwierigen Partnern notwendig. Daher ist – sofern Aserbaidschan von weiteren militärischen Eskalationen gegenüber Armenien absieht – von  einem größeren Boykott der COP29, wie die armenische Zivilgesellschaft in einem breit getragenen Statement fordert, erstmal nicht auszugehen. Einige unabhängige aserbaidschanische Akteur*innen bitten die internationale Gemeinschaft anstatt eines Boykotts darum, sich für echte zivilgesellschaftliche Beteiligungsmöglichkeiten, die Stärkung und Umsetzung der aserbaidschanischen Klima- und Umweltziele sowie die Freilassung der politischen Gefangenen einzusetzen.

Ob die COP aus aserbaidschanischer Sicht nicht nur ein finanzieller, sondern auch ein politischer Erfolg wird, wird maßgeblich davon abhängen, wie das Land im Vorfeld mit seiner eigenen Zivilgesellschaft umgeht und ob es ernsthafte Schritte in Richtung Frieden mit Armenien geht. Demokratische Staaten und internationale Unternehmen sollten Sorge tragen, sich im Rahmen der COP – und darüber hinaus – nicht für Greenwashing instrumentalisieren zu lassen.

Ein Gutes hat die COP29 in Baku in jedem Fall: Sie birgt die Chance, das Bewusstsein für den Klimawandel in Aserbaidschan und der Region, das selbst unter jungen Menschen niedrig ist, zu steigern, und kann einen echten Impuls für dringend notwendige weitere Klimamaßnahmen im Südkaukasus generieren.


Dieser Artikel wurde als Kurzversion in der taz vom 5. März sowie bei taz.de veröffentlicht."