Digitalisierung & Klimaschutz: Wandel voller Chancen

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Durch den Einsatz Künstlicher Intelligenz und die Vernetzung von Rechenleistung entstehen weltweit neue Geschäftsmodelle und Effizienzpotenziale. Damit wächst auch der Hunger nach Strom und Daten. Die Entwicklung muss ökologisch nachhaltig gestaltet und politisch reguliert werden.

Digitalisierte Prozesse wirken sich nicht nur positiv  auf die Produktivität aus, sondern helfen in vielen Branchen auch, nachhaltiger zu wirtschaften.
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Digitalisierte Prozesse wirken sich nicht nur positiv auf die Produktivität aus, sondern helfen in vielen Branchen auch, nachhaltiger zu wirtschaften.

Bei der Digitalisierung geht es zum einen um technische Infrastrukturen sowie neue Geschäftsmodelle auf digitalen Plattformen. Sie haben den Vorteil, Ressourcen effizient auslasten oder bisher personalintensive Routineaufgaben Computern übertragen zu können. Das reicht von der Logistik und Lagerhaltung über das Carsharing oder die Steuererklärung bis hin zur Telemedizin oder der Kfz-Zulassung. Zum anderen geht es darum, Künstliche Intelligenz (KI) – also aus Datensätzen „selbstlernende“ Software – auch produktiv und klug einzusetzen. Im Herzen dieser Entwicklung steht dabei nicht weniger als ein Kulturwandel: Die Vernetzung von allem und allen hat neue Kanäle geschaffen und damit Machtverhältnisse durchgeschüttelt –  in der Wirtschaft zum Beispiel jene zwischen Produzenten und Nutzenden. Allein positive Effekte sind jedoch nicht garantiert. Zwar helfen digitale Steuerungen dabei, Ressourcen optimal einzusetzen. Ein Beispiel ist das „Smart Home“, das intelligente Zuhause, in dem der Energieverbrauch je nach Nutzung, Licht- und Witterungsverhältnissen minimiert wird. Aber alles, was reibungsloser funktioniert, schafft auch neue Bedürfnisse: So hat E-Commerce dazu geführt, dass mehr Lieferwagen durch die Straßen rollen, Menschen nutzen E-Roller, statt zu Fuß zu gehen, und wer daheim auf LEDs umgerüstet hat, lässt womöglich das Licht länger brennen. Jede Google-Suche, jede Anfrage bei Bots wie ChatGPT beschäftigt Server, die Strom verbrauchen. Schätzungen zufolge trägt der Digitalsektor bereits jetzt etwa so viel zu klimaschädlichen Emissionen bei wie der Luftverkehr:bis zu vier Prozent. Nach Berechnungen des Berliner Öko-Instituts von 2021 emittieren Nutzer*innen  750 bis 1.000 Kilogramm pro Person und Jahr. Zum Vergleich: 5.000 in einem Mittelklassewagen mit Verbrennermotor gefahrene Kilometer verursachen ebenfalls eine Tonne Treibhausgas. Entscheidend ist also, die Stromversorgung mithilfe erneuerbarer Energien zu organisieren. Nur so lassen sich die Effizienzgewinne, die die Digitalisierung ermöglicht, nachhaltig von der Treibhausgas-Produktion abkoppeln.

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Der Wirtschaftsatlas 2024

Die Klimakrise, schwindende Ressourcen und Umweltverschmutzung fordern einen Wandel. Unternehmen und Banken müssen Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung priorisieren. Neue Gesetze sollen Verschwendung stoppen und die Infrastruktur modernisieren. Der Wirtschaftsatlas 2024 der Heinrich-Böll-Stiftung diskutiert die Maßnahmen und gibt einen Überblick über die Wirtschaftsgeschichte.

 

Das beginnt bereits: Mehr als drei Viertel der Unternehmen gaben 2023 in einer Umfrage an, bei ihnen sei der CO2-Ausstoß durch den Einsatz digitaler Technologien gesunken. Am größten ist dieser Effekt in der Industrie (86 Prozent), dahinter folgen Handel (81 Prozent) und Dienstleistungsunternehmen (71 Prozent). In der Landwirtschaft, wo man es traditionell mit vielen Unbekannten zu tun hat, hilft die Digitalisierung, Prozesse zu optimieren. Zum Beispiel lassen sich Bewässerung, Wetterschutz, Düngemittelzufuhr und die Ernte über Sensoren und Satellitennutzung steuern. 

KI-gestützte Anwendungen können auf stetig wachsende Datenmengen zurückgreifen und lernen: ob im Supermarkt, wo sich Lebensmittelverschwendung minimieren lässt, indem man die Bestellprozesse anpasst; ob bei Leih- oder Leasingsystemen aller Art, die Kapazitäten nach Bedarf verteilen; oder ob im Verkehr, wo in Zukunft autonome Fahrzeuge in Kombination mit „intelligenten“ Leitsystemen für Mobilität und Lieferung ohne Staus sorgen sollen. Um Werte aus der Digitalisierung zu schöpfen, muss man begreifen, wie sie funktioniert – mit all ihren Möglichkeiten und Risiken. Denn sie kann ebenso gut Schaden anrichten: durch Geschäftsmodelle, die auf Monopolstrukturen und Ablenkung statt auf Qualität setzen, die das Trennende statt das Verbindende fördern, durch KI, die Persönlichkeitsrechte angreift. Viele Akteur*innen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft haben zu lange weggeschaut. Infolgedessen kontrollieren Dritte nahezu unsere gesamte Kommunikations- und Informationsstruktur; im Fall von TikTok ist es mittelbar sogar Chinas Autokratie. Die Übernahme des Kurznachrichtendienstes Twitter, heute „X“, durch Elon Musk hat gezeigt, wie schnell ein Kanal vereinnahmt werden kann. 

Anteil der weiblichen Beschäftigten in Naturwissenschaften und  Ingenieurwesen in Verwaltungsregionen Europas, in Prozent, 2022
Im Dienstleistungssektor sind bereits 46 Prozent der Wissenschaftler*innen und Ingenieur*innen weiblich, im Luftverkehr sind es bisher nur 28 Prozent.

Während etwa in Estland alle Einwohner*innen eine digitale Identität haben, über die sämtliche Interaktionen mit dem Staat oder dem Gesundheitswesen laufen, steht in Deutschland die digitale Transparenz der Gesellschaft dem ausgeprägten – und legitimen – Bedürfnis nach Datenschutz entgegen. Die eigene Steuererklärung offen im Netz sehen zu wollen, wie es etwa in Schweden möglich ist, ist für Deutsche noch undenkbar. Das hält viele dennoch nicht davon ab, persönliche Daten in soziale Medien und für den Online-Handel einzuspeisen, die überwiegend von wenigen amerikanischen Plattform-Konzernen betrieben werden. Europa bemüht sich hier um Regulierung – etwa mit der Datenschutz-Grundverordnung und dem „Digital Services Act“. Aber letztlich bleiben es Versuche, im Nachhinein Probleme zu lösen. Was Deutschland und Europa vor allem brauchen, um Abhängigkeiten entgegenzuwirken, sind digitale Bildung und Aufklärung für alle Generationen – und Unternehmergeist. Es gilt, die Technik zu verstehen, um die Hoheit darüber zurückzugewinnen. Dann können Digitalisierung und Künstliche Intelligenz Werkzeuge sein, um Ziele zu erreichen, die auch dem Gemeinwohl dienen.