Weizenhandel: Vom Acker in die Welt

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Globalisierung konkret: Mehr als ein Viertel der jährlichen weltweiten Ernte des wichtigsten Getreides geht in den Export. In den letzten Jahren haben sich die Märkte stark verändert. Die Zeit der Monopole ist vorbei.

Je nachhaltiger Landwirtschaft und Industrieproduktion werden, desto besser lässt sich die Artenvielfalt erhalten
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Mit der Art und Weise, wie wir Nahrungsmittel produzieren, könnte die Zerstörung der Natur aufgehalten oder Biodiversität sogar wieder erhöht werden.

Menschen in der ganzen Welt ernähren sich von Weizen. Das kommt nicht von ungefähr: Das Getreide bildet mit seinem hohen Proteingehalt von 13 Prozent eine der wichtigsten Quellen pflanzlichen Proteins im menschlichen Essen, dazu liefert es jede Menge Kohlehydrate. Mangelt es an Weizen, geraten Regierungen unter Druck. Weizen ist das am stärksten global gehandelte Agrarerzeugnis. 2020 ging mehr als ein Viertel der globalen Ernte in den Export – rund 194 Millionen von insgesamt 773 Millionen Tonnen. Auch aus der EU wird Weizen exportiert. Hier gehen etwa 20 Prozent der Ernte in andere Länder. Die sechs größten Weizen-Exporteure sind neben der EU mit Großbritannien die USA, Russland, Kanada, Australien und die Ukraine. Alle sechs Regionen zusammen haben 2020/21 gut 80 Prozent des weltweiten Weizen-Exports abgedeckt. Je nach Ernteerfolg und Währungskursen wechseln sich die USA, Russland und die EU mit Großbritannien an der Spitze ab. Mit dem Währungskurs erklärt sich auch Russlands Erfolg auf dem globalen Weizenmarkt: Seit der Krim-Annexion 2014 hat der Rubel an Wert verloren, was russischen Weizen billig macht. Zu den großen Importeuren gehören Ägypten, Indonesien, China, die Türkei, die Philippinen und Brasilien. Die jeweiligen Exportmengen lagen im Erntejahr 2019/20 zwischen dreizehn und acht Millionen Tonnen. Der Grund für den hohen Weizenbedarf sind die großen Bevölkerungen, aber auch der gestiegene Lebensstandard. China muss in großem Maßstab Weizen importieren, obwohl es weltweit am meisten Weizen produziert. Der Transport des Weizens erfolgt per Schiff. 

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Der Wirtschaftsatlas 2024

Die Klimakrise, schwindende Ressourcen und Umweltverschmutzung fordern einen Wandel. Unternehmen und Banken müssen Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung priorisieren. Neue Gesetze sollen Verschwendung stoppen und die Infrastruktur modernisieren. Der Wirtschaftsatlas 2024 der Heinrich-Böll-Stiftung diskutiert die Maßnahmen und gibt einen Überblick über die Wirtschaftsgeschichte.

 

Das Bindeglied zwischen den landwirtschaftlichen Betrieben und den Abnehmern des Weizens sind die internationalen Agrargroßhandelsunternehmen. Sie kaufen den Weizen an und verkaufen ihn an Mühlen und die Lebensmittelindustrie weiter. Häufig ist eine regionale Handelseinrichtung zwischen die Landwirte und die internationalen Agrarhandelsunternehmen geschaltet. Die internationalen Agrarhändler verfügen über Siloanlagen und Lagerhallen, in denen sie den Weizen über längere Zeit und in großer Menge aufbewahren können. Außerdem organisieren sie den Transport und sichern die Geschäfte an den Warenterminbörsen ab. Bis zum Fall der Sowjetunion 1989 haben die vier größten Agrarhändler Archer Daniels Midland, Bunge, Cargill und Luis Dreyfus, die ABCD-Unternehmen, den Weizenmarkt dominiert. Auch Staaten schlossen Weizengeschäfte ab. Die großen Weizenkäufer waren die Sowjetunion und China. Kanada und Australien verkauften im großen Stil an sie. Oft wurden diese Deals geheim gehalten. Die vier ABCD-Unternehmen spielen nach wie vor eine große Rolle. Die Zeit der großen Monopole im Weizenexport scheint jedoch vorbei zu sein. Das chinesische Unternehmen Cofco und der russische Großhändler RIF haben zu den einstigen Branchenriesen aufgeschlossen. Außerdem vermarkten zahlreiche kleine Unternehmen Weizen aus einem oder zwei Ursprungsländern. Oft sind sie auf spezifische Qualitätsanforderungen spezialisiert. 

In 43 Ländern wird der Nahrungsmangel als „ernst“ oder „sehr ernst“ eingestuft
Die Bekämpfung des Hungers stagniert seit 2015. Besonders stark leiden Menschen in Ländern Zentral- und Ostafrikas sowie im Jemen an Nahrungsmangel.

Geändert hat sich auch der Weizenhandel an den Warenterminbörsen. Bei Weizen werden die Geschäfte bereits bei der Aussaat abgeschlossen. Der Vorteil für die landwirtschaftlichen Betriebe besteht darin, dass sie verlässlich Geld bekommen und die nächste Aussaat finanzieren können. Der Nachteil ist, dass sie mögliche Gewinne nicht mitnehmen können. Bei den Spekulant*innen verhält es sich umgekehrt: Sie können mögliche Gewinne mitnehmen, tragen aber dafür die Verluste. Mitte der 2000er-Jahre stiegen Finanzmarkt-Akteure wie Banken, Hedgefonds und Versicherungen in großem Stil in die Rohstoffderivatemärkte ein. NGOs warfen den Spekulant*innen seitdem immer wieder vor, die Preise bewusst in die Höhe zu treiben.  Eine 2021 veröffentlichte Studie von Wirtschaftswissenschaftler*innen der Universitäten in Basel und New York bestätigt diese Thesen nicht. Die Wissenschaftler*innen werteten Börsenpreise aus 140 Jahren aus. Demnach hat es auch früher Phasen hoher Volatilität am Weizenmarkt gegeben. Bei den Schwankungsmustern spielt möglicherweise die Geld- und Währungspolitik eine Rolle. Als stabilisierender Faktor hat sich das AMIS-System erwiesen, das die G20-Staaten nach der Food-Fuel-and-Financial-Crisis von 2008/2009 eingerichtet haben: Bei AMIS melden die G20-Staaten und acht weitere AMIS-Mitglieder ihre Daten zu Produktion, Angebot und Lagerbeständen. Mit dieser Transparenz sollen preistreibende Fehlentscheidungen von Regierungen verhindert werden. Während der Covid-Pandemie scheint das gelungen zu sein. Der Ukraine-Krieg hat ebenfalls nur kurzzeitig zu Kursausreißern beim Weizenpreis geführt.