Die Mitte rückt nach rechts

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Laut Moshe Zimmermann gibt es in diesem Wahlkampf nur noch eine spannende Frage: Wird die Partei "Gemeinsam - das Volk ist mit uns" die 3,25 Prozent-Hürde schaffen?

Nach Ansicht des israelischen Historikers Moshe Zimmermann ist die anstehende Parlamentswahl in Israel bereits entschieden: Die rechten Parteien werden gewinnen. Gleichzeitig hofft er, dass er mit dieser Prognose falsch liegt.

Die Wahlen, die in etwa einem Monat stattfinden, sind bereits entschieden. Die Zahlen liegen vor: Dreiviertel der israelischen Jüdinnen und Juden meinen, dass Entscheidungen über Frieden und Sicherheit nur von einer jüdischen Mehrheit im Parlament getroffen werden dürfen. 61 Prozent behaupten, dass auch Entscheidungen über die Verfassung und Wirtschaft eine jüdische Mehrheit benötigen.

Diese Befunde des israelischen Instituts für Demokratie sprechen eine deutliche Sprache: Die von Netanyahu und seinen Gefolgsleuten entfachte Debatte über Israel als "Nationalstaat des jüdischen Volkes" hat für die Mehrheit der israelischen Jüdinnen und Juden einen praktischen Sinn: die Fortsetzung der Siedlungspolitik und die Benachteiligung der arabisch-palästinensischen Minderheit. Dazu muss man sich nur die relevanten Gesetzesvorlagen der Regierung der letzten Jahre anschauen. Das versteht selbstverständlich auch die palästinensische Führung, von der die Anerkennung Israels als jüdischer Nationalsataat als Vorbedingung für die Aufnahme von Friedensgespräche verlangt wurde.

Rechts oder links sein in Israel bedeutet, für oder gegen die Rückgabe der besetzten palästinensischen Gebiete und für oder gegen eine Privilegierung der israelischen Jüdinnen und Juden zu sein. Die Mehrheit steht also rechts, wird voraussichtlich für eine der rechten Parteien ihre Stimme abgeben und sich entsprechend auch eine rechte Koalition wünschen. 53 Prozent der Befragten antworten, dass sie eine rechte Koalition vorziehen würden, während sich nur 38 Prozent eine sogenannte Mitte-Links-Koalition wünschen. Das bedeutet auch, dass eine Mitte-Links-Koalition, an der sich die Abgeordneten der Liste der arabischen Parteien beteiligen würden, für illegitim gehalten würde.

Soziale Gerechtigkeit ist kein Wahlkampfthema

Der eindeutige statistische Befund aller Wahlprognosen ist, dass die rechtsorientierten (eigentlich: rechtsradikalen) Parteien (Likud, "Jüdische Heimat", "Unser Haus Israel") mindesten 45 der 120 Parlamentssitze bekommen werden, während die linken Parteien (Arbeitspartei und die liberale "Meretz") höchsten 32 Sitze erreichen werden. Die Parteien der Ultraorthodoxie, die eine klar rechtsorientierte Politik befürworten, kommen mindestens auf 15 Sitze, die sogenannten Parteien der Mitte ("Zukunft" und "Wir alle", eine Abspaltung vom Likud) etwa auf 20 und der Einheitsblock der israelischen Araber (einschließlich „Hadasch“) auf geschätzte 12 Sitze. Im besten Falle kann die Linke mit einer Mitte-Links-Koalition rechnen, die entweder von der Fraktion der israelischen Araber oder von den Ultraorthodoxen gestützt wird.

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Im ersten Fall wird die jüdische Mehrheit die Regierung voraussichtlich für illegitim halten, im zweiten Fall säße das trojanische Pferd bereits in der Regierung und würde jedwede konstruktive Strategie für eine Zwei-Staaten-Lösung verhindern. Wahrscheinlicher ist deshalb die dritte Alternative: eine Koalition der rechten und ultraorthodoxen Parteien, die mindestens eine Partei der angeblichen "Mitte" (oder sogar die Arbeitspartei) als Koalitionspartnerin gewinnt. Die Entscheidung hierüber ist bereits gefallen, bedingt durch die klare Mehrheit für rechtes Gedankengut in der Gesellschaft.

Der Sozialisations- und Erziehungsprozess, der politische Diskurs und die Denkweise der israelisch-jüdischen Gesellschaft tendieren über eine längere Zeit immer weiter nach rechts. Das bedeutet auch, dass Themen, die in Europa vom linken Flügel besetzt sind – wie z.B. soziale Gerechtigkeit, Wohlfahrtsstaat etc. – in Israel weder mit den linken Parteien identifiziert werden noch bei den Wahlen entscheidend sind.

Das ist verwunderlich, da es bereits vor drei Jahren den großen Protest für mehr soziale Gerechtigkeit in Israel gab, der zwar eine neue "Partei der Mitte" (Yesh Atid - Zukunft) zum Wahlerfolg verholfen hat. Die "Partei der Mitte" koalierte dann jedoch mit Netanyahu und half dadurch, die Blockade des Friedensprozesses fortzusetzen. Ein Primat der klassischen linken Themen ist also ebenso wenig zu erwarten, wie ein überraschender Linksruck. Die Wahlen sind bereits entschieden.

Säbelrasseln statt Friedensprozess

Die Marginalisierung der in Europa typischen rechten bzw. linken Themen steht im Zusammenhang mit der Taktik Netanyahus, die auf die spezifische Mentalität der Israelis setzt: Wenn die größte Herausforderung Israels angeblich von der atomaren Bedrohung Irans und dem Vernichtungswillen der Hamas (und letztendlich aller Palästinenser/innen) ausgeht. In anderen Worten: wenn es um die Existenz Israels geht, werden alle andere Fragen sekundär. Nicht der Versuch, mit den arabischen Nachbarn Frieden zu schließen, gilt als Garant für Sicherheit (also eine linke Politik), sondern nur der militärische Präventivschlag und das Säbelrasseln (d.h. eine rechte Politik). Daraus kann man nur den bereits erwähnten Schluss ziehen: Die Wahlen sind bereits entschieden.

Doch etwas Spannung bleibt auch in diesem Wahlkampf: Wird die Partei, die den komischen Namen "Gemeinsam - das Volk ist mit uns" trägt, die 3,25 Prozent-Hürde schaffen und in die Knesset einziehen? Der Gründer dieser Partei ist der ehemalige Innenminister Eli Yishay, der sich mit seiner neuen Partei von der Shas Partei (Ultraorthodoxie) abspaltete und der sich während seiner Amtszeit nicht scheute, mit rassistischen Sprüchen gegen Asylbewerber/innen und Araber/innen vorzugehen. Auf der Liste dieser Partei zur Knesset befinden sich nicht nur Politiker, die sogar für die rechtsradikale Partei "Jüdische Heimat" zu radikal wurden, sondern auch Vertreter der Partei des Rabbi Kahane, die vom israelischen Obersten Gerichtshof aufgrund ihres Rassismus verboten wurde.

Gelingt es dieser Partei, die 3.25 Prozent-Hürde zu überspringen, wird nicht nur die rechte Mehrheit in der Knesset größer, sondern es wird eine Partei in der Knesset vertreten sein, die im europäischen Vergleich weiter nach rechts tendiert als Vlaams Belang oder Jobbik. Hoffentlich bleibt uns zumindest diese Schande erspart. Ja, hoffentlich ist meine Prognose falsch.

 

In unserer Reihe zu den Wahlen in Israel sind bisher Artikel über die Parteien im Wahlkampf und den langen Abschied von Präsident Netanjahu erschienen. Im nächsten Text widmet sich Noam Segal der israelischen Umweltpolitik.