Israels Parteien im Wahlkampf

Tzipi Livni
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In einem Überraschungscoup einigte sich Tzipi Livni (oben) mit Yitzak Herzog auf ein neues Wahlbündnis mit dem Namen „Zionist Camp“

Am 17. März wählt Israel ein neues Parlament. Wie stehen die Chancen für einen Wechsel? Eine Wahlkampfanalyse.

Unmittelbar nachdem die derzeitige israelische Regierungskoalition durch Netanyahu aufgekündigt wurde und die Knesset Neuwahlen für den 17. März 2015 beschlossen hatte, waren die ersten Reaktionen verhalten. Man befürchtete eine Wiederholung des Wahlkampfes von 2013, der auf bemerkenswerte Art und Weise die grundsätzlichen Fragen der Existenz Israels ausgeblendet und sich auf Themen wie steigende Mieten und wachsende Lebenshaltungskosten beschränkt hatte.

Doch bereits nach wenigen Tagen zeichnete sich ein Stimmungswechsel ab. Die bekannte linke Politwissenschaftlerin und ehemalige Knessetabgeordnete Naomi Chazan war eine der ersten, die diesem Stimmungswechsel Ausdruck verlieh. In ihrem Blog vertritt sie die These, dass diese Wahlen zum ersten Mal seit zwei Jahrzehnten eine Wende in der israelischen Politik bringen könnten. Die Regierung Netanyahu sei gekennzeichnet durch die Unfähigkeit ihres Spitzenpersonals, Krisen zu vermeiden bzw. sie zu meistern. Folglich bringe die Bevölkerung der Politik mehr und mehr Misstrauen entgegen. Wirtschaftliche Unsicherheit, der Gazakrieg im Sommer, der zunehmende Spannungen zwischen Juden und Arabern mit sich brachte, Gewaltausbrüche in Jerusalem und der systematische Ausschluss sowie wachsende Vorurteile gegenüber Minderheiten seien die nicht mehr zu übersehenden Indikatoren einer tiefgehenden Krise der israelischen Gesellschaft und Politik. Das bietet in ihren Augen die Chance für Veränderung, weil die grundlegenden Fragen nach der Identität israelischer Politik nicht mehr ausgeblendet werden könnten.

 

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Ähnlich grundsätzlich sieht auch Gershon Baskin, einflussreicher Politikberater und Aktivist für eine Konföderation zwischen Israel und Palästina, den Ausgang der Wahlen für die Zukunft des Landes. Er liefert ein engagiertes Plädoyer für eine andere Politik. Für ihn entscheidet der Ausgang dieser Wahl darüber, ob Israel in absehbarer Zeit eine Lösung des Nahost-Konflikts herbeiführen kann oder mit einer Welle von Sanktionen überzogen und international isoliert wird. Die Lösung des Konflikts durch eine Zwei-Staaten-Lösung sieht er als zentrale Überlebensfrage Israels, der alle anderen Probleme nachgeordnet seien. Die anstehenden Wahlen eröffneten zum ersten Mal diese klare Alternative für oder gegen ein Friedensabkommen.

Zentrale Frage für die Zukunft des Landes

Und obwohl das dem Wunsch der internationalen Beobachter sicher am meisten entsprechen würde, sieht es leider nicht so aus, dass das Thema „Frieden“ tatsächlich wahlkampfentscheidend werden wird. Es zeichnen sich vielmehr zwei ganz andere entscheidende Themen ab.
Von zentraler Bedeutung ist vor allem die Frage, an der die Regierung Netanjahus letzten Endes scheiterte und die sich in der Auseinandersetzung um den sogenannten „Nation State Bill“ manifestierte: Der vom Likud und der Bennett Partei (Das jüdische Heim) eingebrachte „Nation State Bill“ sollte den jüdischen Charakter des Landes gesetzlich festschreiben, und spaltet seitdem das Land in zwei Lager.

In der Tat ist es wohl die zentrale Frage für die Zukunft des Landes, ob sich Israel künftig nationalreligiös definiert und eine Politik, deren Kern die Forcierung der Besiedlung der Westbank ist, endgültig als offizielle Regierungspolitik festschreibt oder ob Israel an der ursprünglichen zionistischen Definition eines mehrheitlich jüdischen, aber demokratischen Staates festhält.

Ein weiteres wichtiges Thema, ist – zum ersten Mal in diesem Ausmaß in der israelischen Innenpolitik – die zunehmende Sorge vor einer weiter gehenden internationalen Isolierung. Das haben mehrere Umfragen deutlich gemacht. So ergab eine von Dahlia Scheindlin im Auftrag des +972 Blog im Dezember 2014 durchgeführte Umfrage, dass drei Viertel aller jüdischen Bürger (arabische Bürger etwas weniger) quer durch die politischen Lager besorgt sind über die Krise in den Beziehungen zu den USA und zu Europa und Angst vor einer weiteren internationalen Isolierung Israels haben. Voraussetzung für einen Politikwechsel in diesen Punkten, darin sind sich die meisten Kommentatoren einig, wäre allerdings eine Abwahl Netanyahus.

Chancen für eine Ablösung von Netanyahu

Den ersten und entscheidenden Schritt vollzogen zwei führende Akteure des politischen Spektrums der linken Mitte: Yitzak Herzog, der Vorsitzende der traditionsreichen Arbeitspartei, und Tzipi Livni. In einem Überraschungscoup einigte sich Herzog mit Livni auf ein neues Wahlbündnis mit dem Namen „Zionist Camp“. Damit brachten beide schon im gemeinsamen Namen zum Ausdruck, dass es in diesem Wahlkampf um eine Richtungsentscheidung über die Zukunft des Landes geht.

In den aktuellsten Umfragen erzielte das Bündnis deutliche Zuwächse  und hat einen Vorsprung vor Likud. Damit stehen für das „Zionist Camp“ die Chancen gut, am Ende den Auftrag zur Regierungsbildung zu erhalten. Nachdem zuletzt auch Meretz erklärte, dass die Partei für eine Regierungsbildung mit diesem Bündnis zur Verfügung stünde, etablierte sich zum ersten Mal nach Jahren eine Art gemeinsame Wahlkampfagenda des Mitte-Links Spektrums und somit eine realistische Chance für die Ablösung der Mitte-Rechts Regierung.
Letztendlich hängt ein Wahlerfolg des neuen Bündnisses jedoch vor allem davon ab, dass Herzog und Livni die notwendigen Stimmen aus der Mitte der Gesellschaft für sich gewinnen und nicht nur Meretz Konkurrenz im linken Lager machen.

Die Wahlliste der Arbeitspartei ist mit einem hohen Anteil von Frauen und jungen Gesichtern zwar auf den ersten Blick für Linke und Junge attraktiv, aber in die Mitte der Gesellschaft wirkt sie sicher nicht. Die Aufstellung Manuel Trajtenbergs, einem Ökonomieprofessor, der durch die von Netanyahu im Herbst 2012 eingesetzte Kommission zur Sozialreform bekannt wurde, ist hingegen ein interessanter Schritt. Ob sozialpolitische Themen am Ende auch wahlentscheidend sein werden, ist allerdings noch nicht klar.

In jedem Fall müssten das Zionist Camp und Meretz Bündnisse mit anderen Parteien schließen, um die nötige Mehrheit für eine Regierungsbildung zu erhalten. In diesem Zusammenhang ist es interessant, wie sich die Parteien Yesh Atid und Yisrael Beitenu, aber auch die neue Partei des ehemaligen Likud Mitglieds Kahlon „Kulanu“ („Wir alle“) positionieren werden. Alle drei Parteien haben sich – offensichtlich bewusst – offen gehalten, mit wem sie am Ende des Tages koalieren werden – mit Rechts oder mit Mitte-Links.

Netanjahu ist durch den Newcomer dieses Wahlkampfes, Moshe Kahlon, einem ehemaligen Likud-Mitglied, eine Konkurrenz erwachsen. Dessen Partei Kulanu gilt als „Brückenpartei“ zwischen dem linken und dem rechten Lager. Sie spricht sich klar für eine zwei-Staaten-Lösung aus. Allerdings ist nicht deutlich, ob Kahlon nicht doch bereit wäre, dem rechten Lager am Ende zur Mehrheit zu verhelfen.
Und was macht Liebermann, die Überraschungsnummer der israelischen Politik? Seine Partei Yisrael Beitenu ist durch Korruptionsskandale in schwieriges Fahrwasser gekommen, so dass unklar ist, ob die Partei sich davon wieder erholen wird.

Mehr Einfluss für arabisch-jüdische Parteien?

Außerdem propagierte Liebermann bereits vor dem Wahlkampf einen höchst eigenwilligen Vorschlag zur Konfliktlösung, der an alte Sowjetzeiten erinnert: einen Austausch der Bevölkerung, der vorsieht, israelische Araber nach Palästina umzusiedeln und dafür die Siedler ins israelische Kernland zurückzuholen. Was besonders unter dem arabischen Teil der israelischen Wähler Kritik hervorruft, ist die Tatsache, dass diese offensichtlich rassistische Haltung bei keiner der anderen Parteien Proteste hervorrief.

Bereits während und nach dem Gazakrieg wurden von rechts immer wieder Zweifel an der Loyalität der Vertreter der arabischen Parteien in der Knesset gegenüber Israel laut. Als Antwort auf diese Ausgrenzungen und Delegitimierungen sowie in Reaktion auf die angehobene Sperrklausel, versuchen die vier in der Knesset vertretenen arabischen bzw. arabisch-jüdischen Parteien Balad, Hadash, United Arab List und Taal mit einer gemeinsamen Liste anzutreten.

Würde dies gelingen, hätten sie zum ersten Mal die Chance, auf die Bildung einer Mitte-Links-Regierung Einfluss zu nehmen. Eine Rolle, die in den vergangenen Jahren, außer bei der letzten Regierung, den ultraorthodoxen Parteien United Thorah Judaism und Shas zukam. Diese haben sich allerdings bereits zu Beginn des Wahlkampfs aufgrund interner Auseinandersetzungen ins Abseits manövriert, was wiederum Netanyahus Chancen mindert, sie als Koalitionspartner zu gewinnen.

Auch wenn der Wahlausgang also durchaus ungewiss bleibt und natürlich das rechte Spektrum alle Chancen hat, unter Netanjahu oder gar Bennett erneut die Regierung zu stellen, unterscheidet sich dieser Wahlkampf doch von denen der letzten Jahre ganz entscheidend: Das Mitte-Links Spektrum hat in ihrer Kampagne gegen „Bibi“, also Netanyahu, und für ein zionistisch-demokratisches Israel einen überzeugenden gemeinsamen Nenner gefunden. Damit hat Israel erstmals seit Jahren die Chance auf einen realen Politik-Wechsel.

Hinweis: Weitere Artikel zu den anstehenden Wahlen in Israel und deren Bewertung folgen demnächst, u.a. mit Beiträgen von Moshe Zimmermann und Dahlia Scheindlin.

Israelisches Wahlsystem

Dem Ministerpräsidenten obliegt, analog zu dem deutschen parlamentarischen System, die Richtlinienkompetenz innerhalb der Regierung. Der Vorsitzende der stärksten Fraktion wird vom Staatspräsidenten mit der Regierungsbildung beauftragt, die zumeist eine Koalition mehrerer Parteien ist. 

Gemessen an deutschen Maßstäben verändert sich die Parteienlandschaft in Israel wesentlich schneller. Es existiert eine Vielzahl an oftmals kleinen oder kleinsten politischen Parteien, und in jedem Wahlkampf kommt es zu weiteren Spaltungen, Neugründungen und Listenverbindungen von Parteien. In den 1990er Jahren sollten eine Reihe neuer Gesetze dabei helfen, die Parteienlandschaft übersichtlicher zu gestalten: Es wurde eine Sperrklausel eingeführt, die im Vorfeld dieser Wahl durch Netanyahu nochmals von 1,5 auf 3.5 % erhöht wurde. Die Parteien sind verpflichtet schriftliche Programme vorzulegen und geschlossene Wahllisten aufzustellen, wobei die Reihenfolge der Kandidaten verbindlich festgelegt wird. Diese werden durch parteiinterne Wahlen (nach amerikanischem Vorbild „Primaries“ genannt) festgelegt.

Allerdings ist das parteiintern Verfahren keineswegs demokratisch. Es liegt in der Hand von Komitees, die in unterschiedlichen Verfahren von den Parteien besetzt werden, mit Ausnahme von Yisrael Beitenu, deren Vorsitzender Lieberman die Kandidaten persönlich auswählt. Allerdings sind auch linke Parteien wie Meretz nicht vor dem Vorwurf mangelnder innerparteilicher Demokratie gefeit.