Bizarre Wahlen in Israel

Mauer und Siedlungsbau - Israel/Palästina
Teaser Bild Untertitel
Siedlungsbau in Israel/Palästina - Netanyahus aggressive Forcierung des Siedlungsbaus hat die Chancen der Wiederaufnahme von Verhandlungen weiter schrumpfen lassen und Israel in die internationale Isolation getrieben

Die bevorstehenden Wahlen sind die bizarrsten, die jemals in Israel abgehalten wurden. Gleichzeitig geht es um die wichtigste Wahlentscheidung in der bisherigen Geschichte des Landes. Es geht es um die Zukunft des Staates Israel, nicht mehr und nicht weniger.

Sehr wahrscheinlich hängt es von dieser Wahl ab, ob sich Israel in Richtung eines Frieden mit den Palästinensern bewegt oder sich mit wachsender internationaler Isolation und mit schärfer werdenden Boykottmaßnahmen konfrontiert sieht. Vor diesem Hintergrund liegt das Bizarre dieser Wahlen in der Tatsache, dass kaum jemand über die schicksalsträchtigste Frage Israels, über das Verhältnis zu den Palästinensern, spricht. Die Mehrheit der Israelis will Frieden mit den Palästinensern, gleichzeitig ist die Mehrheit jedoch überzeugt, dass sich ein Friedensabkommen nicht realisieren lässt.

Im Juli 2000, zur Zeit von Camp David und der zweiten Intifada, die als Reaktion auf die gescheiterten Verhandlungen über den endgültigen Status Israels und Palästinas ausgebrochen ist, haben beide Völker an der Existenz eines Partners auf  der anderen Seite zu zweifeln begonnen. In die Welt gesetzt wurde dieser Mythos, dass kein Partner auf der anderen Seite existiere, vom früheren Premierminister Barak, der nach dem Scheitern der Camp David Verhandlungen behauptete, „Arafats wahres Gesicht enthüllt“ zu haben. Der Ausbruch der zweiten Intifada mit ihren entsetzlichen Wellen von Selbstmordanschlägen innerhalb Israels hat die israelische Öffentlichkeit davon überzeugt, dass es bei diesem Konflikt nicht um die 1967 besetzten Gebiete geht, sondern um die Existenz ihres Landes. Vom Trauma dieser zweiten Intifada hat sich Israel bis heute nicht erholt. Auf der anderen Seite leidet das palästinensische Volk noch immer unter den massiven Angriffen auf die Palästinensische Autonomiebehörde durch Israel und der verschärften Besatzung der Westbank.

Die Dummheit des einseitig, ohne ein politisches Abkommen betriebenen Rückzugs aus dem Gazastreifen hat zum Aufstieg der Hamas bei den palästinensischen Wahlen geführt. Die Abriegelung des Gazastreifens durch Israel und Ägypten hat zu wachsender Gewalt aus Gaza und drei Kriege zwischen Israel und der Hamas geführt und die Zerstörung Gazas mit tausenden Todesopfern nach sich gezogen. Die palästinensische Weigerung, Israel als jüdischen Nationalstaat anzuerkennen, das Scheitern einer weiteren Verhandlungsrunde unter US-Regie sowie die Entscheidung der Palästinenser, verschiedenen internationalen Abkommen beizutreten einschließlich des Internationalen Strafgerichtshofs, dies alles hat in der israelischen Öffentlichkeit zu der Überzeugung geführt, dass Frieden in naher Zukunft keine Option ist. Deshalb erwarten israelische Wähler von ihren Kandidaten nicht, sich im Wahlkampf zu Friedensverhandlungen zu positionieren.

Es ist offensichtlich, dass Netanyahu nichts unternommen hat, um die Situation zu verändern und auch nicht nach einer Möglichkeit zur Wiederaufnahme von ernsthaften Verhandlungen gesucht hat. Ganz im Gegenteil. Netanyahus aggressive Forcierung des Siedlungsbaus hat die Chancen der Wiederaufnahme von Verhandlungen weiter schrumpfen lassen und Israel in die internationale Isolation getrieben. De facto ist Israel heute ein Staat mit zwei Einwohnergruppen mit unterschiedlichem rechtlichen Status. Die Chancen für einen wirklichen, auf einer Teilung beruhenden Frieden schwinden währenddessen. Netanyahu hat seiner Wählerschaft keine neuen Vorstellungen präsentiert, die verhindern könnten, dass Israel zu einem Paria-Staat innerhalb der Weltgemeinschaft wird. Die großen Parteien greifen die Siedlungsfrage während des Wahlkampfes nur im Zusammenhang mit der Regulierung von Regierungsausgaben auf. Ein großer Prozentsatz der Staatsausgaben geht in die Siedlungen, wie viele beklagen. Mit Ausnahme von Meretz und der Vereinten Arabischen Liste auf der Linken und Naftali Bennett auf der Rechten spricht jedoch niemand von den Siedlungen als einer politischen Frage.

Analysen der öffentlichen Meinung in Israel haben gezeigt, dass die Israelis Friedensverhandlungen unterstützen würden, wenn sie überzeugt wären, dass es auf palästinensischer Seite einen Partner für Frieden gäbe. Solange dies aus Sicht der israelischen Öffentlichkeit nicht der Fall ist, schwindet die Überzeugung weiter, dass Frieden möglich ist. Die Menschen werden nicht für etwas demonstrieren, was sie für unmöglich halten, und Politiker werden keinen Wahlkampf zu Fragen führen, von denen sie meinen, dass die Öffentlichkeit kein Interesse an ihnen habe. Deshalb äußert sich auch Herzog, Netanyahus wichtigster Herausforderer, so gut wie nicht zu Friedensfragen. Er hat allerdings die Wiederaufnahme von Verhandlungen mit den Palästinensern innerhalb der ersten 100 Tage seiner Amtszeit in Aussicht gestellt.

Ich halte diese Aussage von Herzog durchaus für fundiert, weil er in der Vergangenheit bereits ernsthafte Gespräche über sämtliche zentrale Fragen und Differenzen mit Präsident Abbas geführt hat. Natürlich werden die Wahlstrategen Herzog geraten haben, sich in der Palästinenserfrage zurückzuhalten. Je weniger er sich dazu äußert, desto mehr Stimmen wird er erhalten. Intuitiv würde ich seinen Beratern zunächst einmal zustimmen. Dennoch würde ich behaupten wollen, dass Herzog Abbas wenn er gewollt hätte, öffentlich in dieser Frage konfrontieren hätte können und den israelischen Wählern damit signalisiert hätte, dass er derjenige ist, der Israel den Frieden bringen kann, anstatt sich hinter Umfragen zu verschanzen. Für Herzog ist zurzeit nur eines wichtig. Er will gewählt werden. Alles andere wird daraus folgen. Sollte Herzog dann tatsächlich gewählt werden und sollte er dann tatsächlich die Verhandlungen mit den Palästinensern wieder aufnehmen und ein Friedensabkommen aushandeln, werden die Israelis schon in sehr kurzer Zeit erneut zu den Wahlurnen gehen müssen, um dann in der Tat über Frieden oder die Fortsetzung des Konflikts zu entscheiden.