Was steht in Israel zur Wahl?

Wahlwerbung in Israel
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Wahlwerbung der Gemeinsamen Liste. Auf den Plakaten steht: "Meine Stimme gegen Rassismus"

Bei der Knessetwahl am 17. März geht es weder um rechts oder links, noch um Krieg oder Frieden, erklärt Professor Natan Sznaider.

Am 17. März wird gewählt in Israel. Für politisch denkende Menschen sind Wahlen wichtig. Sie glauben, dass etwas zur Entscheidung steht, dass der Wahlausgang bestimmen wird, in welche Richtung das Land sich bewegen wird. Sie glauben, dass es um Großes geht, um rechts oder links, um Krieg oder Frieden, Apartheidstaat oder Zweistaatenlösung. Sogar Faschismus oder Demokratie scheint auf dem Spiel zu stehen. Um große Fragen scheint es zu gehen. Man rechnet nach und versucht sogenannte linke und rechte Abgeordnete zu zählen. Arithmetik als Politik. Kann Netanyahu abgelöst werden oder nicht? Das ist die Frage, die den politisch orientierten Menschen in Israel beschäftigt.

Der europäische Blick auf den Nahen Osten sieht im Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern den Schlüssel für alle Probleme und auch hier im Land spiegelt sich dieser europäische Blick, der nicht mehr über den Horizont von Jerusalem und Gaza hinaus schauen kann oder will. Aber vielleicht ist der alte klassische Nahostkonflikt angesichts der tatsächlichen Katastrophe im Nahen Osten nicht mehr wichtig. Das würde auch bedeuten, dass der Wahlausgang am 17. März nicht die Zukunft des Nahen Ostens bestimmen wird. Diese Zukunft wird nicht mehr in Jerusalem bestimmt, sondern in Damaskus, Tripoli und Bagdad.

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Abgesehen von diesem regionalen Szenario sollte man sich aber auch innenpolitisch keine Illusionen machen. Auch das sogenannte "Zionistische Lager" wird keine Gebiete zurückgeben, wird keine einzige Siedlung räumen und sich nicht aus der Westbank zurückziehen. Deshalb wird darüber auch nicht wirklich gesprochen. Die Führung des zionistischen Lagers, Isaac Herzog (Arbeitspartei) und Tzipni Livni (Hatnuah) sind daher nicht "linker" als Likud oder "rechter" als die kleine (irrelevante) Meretz-Partei. Das selbsternannte "zionistische Lager" ist in der Tat Teil des zionistischen Lagers, das fast die gesamte israelische Innenpolitik bestimmt, etwas freundlicher als Netanjahu, habituell besser geeignet mit Merkel und Obama zu verhandeln und besser imstande die Illusion des sogenannten Friedensprozesses aufrechtzuerhalten. Bereits seit Jahren war das die Aufgabe von Livni, die als Justizministerin in der letzten Regierung Netanyahu die Friedensverhandlungen leitete. Die neue Liste wird daher auch nicht das geringste Problem haben, mit Netanjahu eine Einheitsregierung zu bilden, wenn Netanjahu das wollen wird. Am Ende wird die Arithmetik ausschlaggebend sein.

Bedrohung der alten kulturellen Elite

Gesellschaftlich geht es aber um mehr. Die alten kulturellen Eliten fühlen sich von der revolutionären Rechten bedroht, die wohl richtigerweise annimmt, dass die zionistische Revolution nicht zu Ende ist. Die alte Arbeitsteilung zwischen brutaler Besatzungspolitik und militärischer Kampfbereitschaft auf der einen Seite und humanistischem und kulturellem Judentum auf der anderen Seite wird langsam aufgebrochen. Die akademische und kulturelle Elite verliert ihre Deutungshoheit und die revolutionäre Rechte braucht sie nicht mehr, um das national-ethnische zionistische Projekt vor sich selbst zu rechtfertigen. Darum geht es in erster Linie bei der abgrundtiefen Abneigung dieser Elite gegen Netanjahu und seine Verbündeten. Das hat mit den großen politischen Fragen des Nahen Osten recht wenig zu tun. Hier geht es um das kulturelle Überleben der alten Elite. Aber sie sind nicht imstand eine Alternative anzubieten. Auch sie sind natürlich – und wie kann es auch anders sein – Israel als "jüdischem und demokratischem" Staat verpflichtet. Das "zionistische Lager" heißt ja nicht nur aus Wahlkampfgründen so. Dabei versucht es manchmal vergessen zu machen, dass es die Arbeitspartei war, die die Siedlungspolitik im ersten Jahrzehnt der Besatzung aus ideologischen Gründen förderte. Die Rechte war damals in der Opposition.

Gemeinsame arabische Liste

Das Interessante an dieser Wahl ist der Zusammenschluss der arabischen Parteien zu einer gemeinsamen Liste. Diese Liste, eine Verbindung von Kommunisten, Islamisten und arabischen Nationalisten, die nur durch ihren Minderheitenstatus zusammengehalten wird, ist wohl die größte Herausforderung für das große zionistische Lager der anderen Parteien. Dieser Zusammenschluss kann durchaus dazu führen, dass die gemeinsame Liste die drittstärkste Partei im Parlament werden kann. Eine solche Herausforderung gab es für die verschiedenen zionistischen Lager im Land schon lange nicht mehr. Dieses Bündnis ist natürlich ein Problem für jeden Liberalen, vor allen Dingen für diejenigen, die mit Kommunismus, arabischem Ultranationalismus und Islamismus wenig anfangen können. Diese Liste ist in erster Linie eine Stimme der arabischen Minderheit im Land, die nicht mehr ignoriert werden will.

Für Juden in Israel stellt sich immer wieder die Frage, ob „normale“ Politik überhaupt möglich ist: Ob man wie ein souveräner Staat und nicht wie eine revolutionäre Bewegung handeln kann. Eine große Minderheitenpartei wird Israel ständig dazu herausfordern, sich über die eigene Identität als "jüdischer und demokratischer Staat" klar zu werden. Es ist durchaus vorstellbar, dass bei einer Regierungskoalition des "Zionistischen Lagers" mit anderen zionistischen Parteien der Vorsitzende des nichtzionistischen Lagers, nämlich der vereinigten arabischen Liste, Aiman Ouda, der Oppositionsführer des Landes werden kann.

Das ist wichtig für die israelische Gesellschaft. Auf die großen politischen Fragen im Nahen Osten wird es wenig Einfluss haben. Einen politischen Frieden kann Israel nur erreichen durch eine Interessen-geleitete Allianzen mit den Nachbarländern, die dazu bereit sind. Das hat mit überholten Kategorien von links und rechts nicht viel zu tun. Das kann Netanjahu und das können auch Herzog und Livni.