Warum die Leugnung des Genozids unsere Demokratien zerstört

Kommentar

Ende des Jahres fand ein nachhaltig verstörender Akt statt. Peter Handke erhielt den Nobelpreis für Literatur: Ein österreichischer Autor mit offenbar chronischer Neigung zur Verharmlosung ausgerechnet jener Kriegspartei der Balkankriege, die mit ihrer großnationalistischen Idee und ihren maßgeblichen Protagonisten Slobodan Milosevic, Radovan Karadzic und Ratko Mladic dazu beitrugen, dass in Europa Verbrechen gegen die Menschlichkeit in einem nach dem Zweiten Weltkrieg unbekannten Ausmaß verübt wurden.

Genozidleugnung und Glorifizierung von Kriegsverbreche(r)n
Teaser Bild Untertitel
Genozidleugnung und Glorifizierung von Kriegsverbrechen

So weit, so bekannt.

Trotz zahlreicher Proteste gegen die Auszeichnung hielten viele Kommentatoren dem umstrittenen Literaten die Treue und verteidigten die Preisvergabe, mit der Begründung, der Preis für sein Werk müsse getrennt zu sehen sein von jenen Worten und Taten, die er darüber hinaus getätigt habe.

Dies ist, mit Verlaub, Unfug.

Handke selber hat sich mit seiner Vasallentreue zu Slobodan Milosevic aus dem sicheren Hafen der Literatur hinausbewegt, indem er voller Bewunderung am Grabe jenes Polithasardeurs sprach, der wie kein anderer für die Hassexplosion der 90er Jahre auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien steht. Das allein spricht Bände über Handkes persönliche Verfasstheit und lässt den Dichter als blind für die erschütternden moralischen Untiefen der Balkankriege erscheinen.

Und eben darum ist der Nobelpreis an Handke ein Einschnitt, der weit über die Literaturwelt ausstrahlen wird und dessen negative Folgewirkungen daher einer tiefer greifenden Analyse bedürfen. Hievt die Nobelauszeichnung doch die Genozidleugnung auf eine globale Ebene – womit er denjenigen AkteurInnen, die den Aussöhnungsprozess auf dem Balkan seit 25 Jahren nachhaltig  hintertreiben, neue Munition liefert. Nicht umsonst frohlockte der serbische Vertreter im Bosnischen Staatspräsidium, Milorad Dodik, vehementester Leugner der durch die Serben in Bosnien begangenen Taten, der Preis des Nobelkommittes gehe an einen Vorkämpfer für „Recht und Wahrheit“. Und nicht zufällig tauchten in den vergangenen Tagen erneut Plakate in Srebrenica auf, die verbreiteten, dass es den Genozid nicht gegeben habe - die Botschaft versehen mit einem Foto von Ratko Mladic, jenem Militär, der von vielen Serben ungeachtet der Verbrechen innig als Held verehrt wird.

Eben hierin besteht der zersetzende Effekt der Preisverleihung: Trotz der tausenden erschütternden Zeugenaussagen zu den Gräueltaten von Srebrenica, die Handke nie zur Kenntnis nehmen wollte (er wird gar mit der ungeheuren Aussage zitiert, dass er den Witwen von Srebrenica   kein Wort glaube) – wird mit dem Preis an ihn nunmehr die Grenze zwischen Fakten und Fake verwischt.

Was ist wahr? Was ist Fiktion?

Wenn diese Unterscheidung mit einem der renommiertesten Preise weltweit unkenntlich gemacht wird, ist der dadurch angerichtete Schaden weitreichend: Er betrifft dann nicht nur die Welt der Literatur und jene, die sich als Fangemeinde definieren, er betrifft uns alle, da er die Grundpfeiler unserer demokratischen Wertesysteme untergräbt. Die strenge Unterscheidung in wahr und falsch, in Recht und Unrecht ist das Fundament eines funktionierenden Rechtssystems. Darauf baut auf, was demokratischer (und nicht zuletzt moralischer und zivilisatorischer) Standard ist und was - als Gegenpol - Barbarei.

Die Taten im Bosnienkrieg, allen voran jene in Srebrenica, begangen an mehr als 8.000 Menschen, waren ein solcher Akt der Barbarei. Jungen und Männer wurden zu Tausenden aussortiert, von Frauen und Mädchen getrennt, gefesselt und bestialisch umgebracht. Aus Hass. Aus Wahn. Weil sie Muslime waren.

Der Genozid von Srebrenica war der erste und einzige auf europäischem Boden nach Ende des 2. Weltkrieges. Nach dem Rassenwahn der Nazis die erneute Auslöschung mühsam erarbeiteter zivilisatorischer Errungenschaften.

Insbesondere für den ohnehin schleppenden Aussöhnungsprozess auf dem Balkan, für die Aufarbeitung der begangenen Verbrechen, stellt die Preisverleihung einen ernstzunehmenden Rückschritt dar.

Gleichzeitig werden zwangsläufig jene AkteurInnen geschwächt, die versuchen, die blutige Vergangenheit akribisch aufzuarbeiten und durch kritische Debatten falschen Heldenverehrungen und Glorifizierungen – eine beliebte Disziplin auf dem Balkan – entgegen zu treten, um die mörderischen Nationalismen endgültig zu überwinden.

Es sind vor allem zivilgesellschaftliche AkteurInnen, die sich dieser Aufgabe verschrieben haben, couragierte EinzelkämpferInnen, die nicht zuletzt dafür angefeindet und bedroht werden, dass sie sich an objektiven Wahrheiten orientieren, dass sie mit Fakten argumentieren und den nach wie vor virulenten, kriegsverherrlichenden Mainstream kritisch hinterfragen: Sonja Biserko und Natascha Kandic in Serbien, Stefica Galic in Bosnien-und Herzegowina oder Vesna Terselic in Kroatien.

Vor diesem Hintergrund hat das Stockholmer Komitee der Marke „Nobel“ schweren Schaden zufügt: Mit den nun erzeugten Schallwellen ist der Preis als moralische Instanz tot. Wie etwa soll man die Auszeichnung angesichts der beschriebenen Auswirkungen künftig noch ernst nehmen? Wer soll in der Nach-Handke-Ära ein Friedensstifter sein, wenn die Nobel-Jury doch eben erst jenen auszeichnete, der selber Unfrieden stiftet, in dem er begangene Verbrechen negiert bzw. schönredet?

Es mutet tragisch an, dass offenbar auch das Nobel-Komitee, das im Sinne Alfred Nobels Preise auch an Wissenschaftler vergibt, die sich mit allgemeingültigen Fakten und Gesetzen beschäftigen, einer Konspirationstheorie erlegen ist.

Bereits im November hat der US-Publizist Peter Maas in einem Bericht für The Intercept dargelegt, dass die beiden Nobel-Juroren Henrik Petersen und Eric Runesson in ihrer objektiven Urteilskraft getrübt waren, da sie kruden Theorien auf den Leim gingen, die das Ausmaß der von Serben begangenen Gräuel bewusst klein schrieben. Dass sich die Juroren mit fragwürdigen Interpretationsschriften über die Balkankriege (unter den Autoren auch zwei Deutsche) befassten, ganz offensichtlich aber nicht die unzähligen Dokumente der Kriegsverbrecherprozesse in Den Haag zur Kenntnis nahmen, mutet seltsam an. Warum orientierten sie sich in solch einer wichtigen Frage an selbst ernannten „Experten“, die Balkankennern keinerlei Begriff sind, und ließen Schilderungen der Zeugen sowie die Richtersprüche des Kriegsverbrechertribunals unberücksichtigt?

Konspirationstheorien sind ein fester Bestandteil linker und rechter extremistischer Kreise. Das Mittel ist allgemein bekannt: Zahlen - etwa die der Opfer des Holocausts - werden heruntergerechnet, das Ausmaß des Schreckens und der Auslöschung gezielt verharmlost. Es wäre (noch) undenkbar, dass Gesinnungstäter, die die Shoah leugnen, mit einem Preis von Weltrang ausgezeichnet würden. Die Leugnung des Genozids von Srebrenica gilt den Juroren des Nobel-Komitees und den Befürwortern der Auszeichnung an Handke hingegen augenscheinlich als Bagatelle.