Tarkan gegen den Tagebau

Kommentar

Während die Türkei sich dieser Tage in den „Lockdown“ begeben hat, denkt man im Bezirk Ikizdere nahe der Schwarzmeerstadt Rize nicht daran, von der Straße zu gehen. AnwohnerInnen demonstrieren gegen einen Steinbruch, der in der Region entstehen soll.

Over the Clouds - Bergbau Türkei

Seit mehreren Tagen demonstrieren die Bewohnerinnen der Ortschaften gegen einen Steinbruch, der hier entstehen soll. Die sozialen Medien sind voll mit Bildern und Videos von sog. „Teyzeler“ (dt. „Tantchen“- eine Bezeichnung für ältere Damen) mit Kopftuch und Rock, der traditionellen Tracht der Landfrauen in dieser Region, die sich an Bäume klammern und sich Rangeleien mit der Gendarmerie liefern.

Mit Protesten kennt man sich aus in Ikizdere: In der Schwarzmeerregion hat die türkische Regierung im vergangenen Jahrzehnt eine Reihe von Infrastrukturprojekten aus dem Boden gestampft. Während einige entlegene Dörfer an das Straßennetz anschließen, sind besonders die von der AKP favorisierten Wasserkraftwerke NaturschützerInnen und BäuerInnen ein Dorn im Auge. Obwohl die Höhenunterschiede in der bergigen Region viel nicht-fossile Energie produzieren rufen sie enorme Schäden an der Natur hervor, oft zum Nachteil der landwirtschaftlich arbeitenden Bevölkerung, die Probleme bekommt, ihre Felder zu bewässern.

Proteste aus dem AKP-Lager

Pikant für die Regierung dabei: Bei vielen der Protestierenden handelt es sich oft nicht um Oppositionelle. In der Schwarzmeerregion wählen viele traditionell für die AKP des Präsidenten, dessen Familie selbst von hier stammt. In diesen Protestbewegungen erfahren viele Menschen, die sonst wenig mit Politik am Hut haben zum ersten Mal, was der autoritäre Staat für diejenigen übrig hat, die auf ihre Rechte bestehen. 

Für die Regierung hingegen sind die Projekte nicht zuletzt Teil ihres Politikmodels, das auf technokratischer Modernisierung bei gleichzeitiger Befeuerung ihres Patronage-Apparats beruht. Die Auftraggeber des neu anzulegenden Steinbruchs sind daher auch keine Unbekannten: das Bauunternehmen gehört Mehmet Cengiz, einem engen Vertrauten und Finanzier Erdoğans. 

Pop-Star Tarkan unterstützt den Protest

Doch auch die Gegenseite hat prominente Hilfe: letzte Woche twitterte Pop-Star Tarkan, der sich öfters schon auf die Seite von UmweltschützerInnen geschlagen hat und selbst aus der Region Rize stammt, seine Unterstützung, seitdem folgten Protestvideos der Frauen auf seinem Account.

Die BewohnerInnen des Tals haben das Projekt jetzt vor Gericht gebracht. Der Bauunternehmer hingegen sagt, so etwas wie eine Umweltverträglichkeitsprüfung wäre unnötig. Gerade aber weil die Regierung weiß, wie gefährlich es für sie werden kann, wenn die normalerweise gängige Polarisierung der Gesellschaft entlang traditioneller Bruchlinien nicht mehr funktioniert, weil es plötzlich um Sachfragen geht, beugt sie sich durchaus manchmal dem Druck der Straße. Als in 2019 Tausende von Menschen gegen ein neues Goldbergwerk in den westtürkischen Ida-Bergen protestierten, stoppte die Regierung das Projekt, obwohl es ihr rund 500 Millionen Dollar hätte einbringen sollen. Die kanadische Bergbaufirma klagt jetzt vor einem internationalen Schiedsgericht auf über eine Milliarden Schadensersatz.