Globale Impfstoffverteilung – war da was?

Kommentar

Weil immer noch nicht genug Impfstoffe geliefert werden, sind in den ärmsten Ländern nicht einmal 10 Prozent der Bevölkerung geimpft. Über hundert ehemalige Staatsoberhäupter und Nobelpreisträger/innen fordern nun in einem Appell an die deutschen Kanzlerkandidat/innen, die weltweiten Verteilungsprobleme mit einer temporären Aufhebung des Patentschutzes energischer anzugehen.

Coronavirus Vaccine

Ist eine Booster-Impfung sinnvoll oder nicht? Wer soll diese und ab wann verabreicht bekommen? Um diese Fragen kreist die aktuelle Impfstoffdiskussion in Deutschland. Denn über 60 Prozent der Menschen hierzulande sind bereits vollständig geimpft. Europa insgesamt ist die Region mit den höchsten Impfraten weltweit. Dank dem Impffortschritt kehren wir langsam zurück in wirtschaftliche Erholung und gesellschaftliche Aktivität. Wir können wieder mehr Freiheiten genießen, Kontakte knüpfen, Kinder können wieder zur Schule gehen.

Kaum präsent in der öffentlichen Diskussion ist jedoch die Situation in den Ländern des Globalen Südens. Während in Deutschland, USA und Israel die dritte Impfrunde anläuft, haben viele Menschen dort noch nicht mal eine erste Impfdosis erhalten. Laut WHO sind bislang 80 Prozent aller weltweiten Corona-Impfungen in Ländern mit hohen und mittleren Einkommen erfolgt. Noch kein einziges armes Land hat eine Impfrate von zehn Prozent erreicht.

Enorme Impfkluft zwischen reichen und armen Ländern

Nur weniger als zwei Prozent der afrikanischen Bevölkerung sind vollständig geimpft. In Lateinamerika ist der Anteil geimpfter Menschen zwar höher, aber nicht annähernd so hoch, wie in Europa oder den USA. Erst kürzlich wies die Direktorin der Panamerikanischen Gesundheitsorganisation darauf hin, dass 75 Prozent der Bevölkerung in Lateinamerika und der Karibik noch immer nicht vollständig geimpft seien. Mehr als ein Drittel der Länder hätten noch nicht einmal 20 Prozent ihrer Bevölkerung geimpft. In Nicaragua beispielsweise liegt die Impfrate bei 4 Prozent. Somit besteht nach fast einem Jahr der globalen Impfkampagne eine große Kluft zwischen reicheren und ärmeren Ländern.

Diese ungleiche Verteilung lässt nicht nur Millionen von Menschen ungeschützt gegen das Virus, sondern ermöglicht auch das Auftreten von Mutationen und die weltweite Verbreitung möglicherweise tödlicherer Varianten.

Ungleichheit in und zwischen den Ländern wächst

Im Globalen Süden hat die Pandemie bereits Millionen von Jobs gekostet, Menschen gerade im riesigen informellen Sektor Einkommensmöglichkeiten genommen. Armut und Hunger sind auch in Ländern mit mittlerem Einkommen zurück und machen weltweit Erfolge der Armutsbekämpfung der letzten Jahrzehnte zunichte. Die soziale und ökonomische Ungleichheit in und zwischen den Ländern nimmt weiter zu.   

Die Erhöhung der Impfstoffkapazitäten und die Beschleunigung der globalen Impfkampagnen würden den Kampf gegen die Pandemie vorantreiben. Eine schnelle und effektive Möglichkeit, dies zu erreichen, ist die temporäre Aufhebung von Patenten, Lizenzen, Urheberrechten und anderen Handelshemmnissen.

Appell ehemaliger Staatsoberhäupter fordert Patentschutzaufhebung

Über hundert ehemalige Staatsoberhäupter und Nobelpreisträger/innen fordern nun in einem Appell die deutschen Kanzlerkandidat/innen auf, die TRIPS-Ausnahmeregelung im Rahmen der WTO zu unterstützen. Indien und Südafrika hatten im vergangenen Oktober bei der WTO einen Vorschlag eingereicht, den Patentschutz für Impfstoffe zumindest vorübergehend auszusetzen. Mehr als hundert WTO-Mitgliedsländer haben sich dieser Initiative angeschlossen. Doch viele Industrieländer, allen voran die europäischen und insbesondere Deutschland, lehnen diesen Vorschlag auf Druck ihrer Pharmaunternehmen bisher ab.

Die aktuelle globale Situation steht im krassen Widerspruch zu den Statements auch vieler europäischer Politiker/innen über Solidarität, Empathie und Kooperation in der Pandemie.

Globale Impfstoffverteilung energisch vorantreiben

Ein weiterer Skandal in diesem Zusammenhang: Bereits Ende 2020 wurde bekannt, dass viele Lieferverträge mit Impfstoffherstellern eine Weitergabe an Drittstaaten und die Impfinitiative der Vereinten Nationen COVAX explizit untersagen.

Es ist das Gebot der Stunde, sich dem Thema der globalen Impfstoffverteilung nachhaltig und mit gebotener Dringlichkeit zuzuwenden und endlich die grundlegenden Voraussetzungen für eine erfolgreiche weltweite Bekämpfung zukünftiger Pandemien zu schaffen. Das impliziert, die temporäre Vergabe von Patentrechten der – ernsten - Situation angemessen zu regeln, Produktionskapazitäten zu schaffen, Forschung und Entwicklung von Impfstoffen zu unterstützen, und zwar weltweit.

Tödliches Nicht-Handeln

Es braucht zudem unbedingt die Unterstützung und Stärkung von internationalen Organisationen wie der WHO oder des World Food Programms, denn Armut und Hunger sind direkte Folgen von Pandemien. Es ist geradezu skandalös, dass zu viele Staaten nicht einmal ihre Pflichtbeiträge regelmäßig zahlen.

„Nach der Pandemie ist vor der Pandemie“, hat Angela Merkel dieses Jahr gewarnt. Konkrete Schlussfolgerungen daraus fallen auf globaler Ebene immer noch zu zögerlich aus. Nicht handeln ist aber für die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung im Globalen Süden mindestens bedrohlich, und zunehmend tödlich.

 

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