Empfehlungen für eine neue Rolle Deutschlands in der Östlichen Partnerschaft

Analyse

Beim Gipfel der Östlichen Partnerschaft (ÖP) soll Kanzler Scholz am 15. Dezember mit hochrangigen Vertreter*innen der EU, der Mitgliedstaaten und der ÖP-Staaten zusammenkommen, um die Agenda für die ÖP post-2020 politisch zu billigen. Trotz der riesigen Unterschiede zwischen den Beteiligten – im Hinblick auf ihre Aussichten für demokratische Entwicklung, aber auch Kooperationswillen – und der jüngsten krisenreichen politischen Ereignisse in der EU-Nachbarschaft droht der Gipfel zeremonielle Oberflächlichkeit zu senden. Wie kann die Ampelkoalition Deutschland aus dem ÖP-politischen Dornröschenschlaf wecken und so zu einer effektiveren ÖP beitragen?

Verschneite Dornenhecke
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Wie kann die Ampelkoalition Deutschland aus dem ÖP-politischen Dornröschenschlaf wecken?

Auf der Tagesordnung für den sechsten ÖP-Gipfel steht in erster Linie die formelle Billigung der neuen „Aufbau-, Resilienz- und Reformagenda auf der Grundlage eines Wirtschafts- und Investitionsplans“ für die ÖP post-2020. Die Östliche Partnerschaft wurde 2009 als östliche Dimension der Europäischen Nachbarschaftspolitik zwischen der Europäischen Union, Armenien, Aserbaidschan, Belarus, Georgien, der Republik Moldau und der Ukraine ins Leben gerufen. Aus EU-Perspektive war das Ziel der ÖP, die beteiligten Östlichen Nachbarn unabhängig von einer Mitgliedschaftsperspektive durch engere Zusammenarbeit politisch und wirtschaftlich an die EU heranzuführen. Die in den letzten Jahren in Kraft getretenen Assoziierungsabkommen sowie tiefen und umfassenden Freihandelsabkommen mit Moldau, Georgien und der Ukraine und das umfassende und erweiterte Partnerschaftsabkommen mit Armenien bieten dafür gute Grundlagen und weisen erste Erfolge auf. Auch die Visaliberalisierung mit Moldau, Georgien und der Ukraine gilt als Errungenschaft der ÖP. In der Unterstützung demokratischer Reformen war die ÖP hingegen weniger erfolgreich. In welcher politischen Gemengelage findet nun der sechste ÖP-Gipfel statt? Mit welcher Haltung und welchen frischen Ideen sollte die neue Bundesregierung der ÖP begegnen?

Unruhiges Fahrwasser

Die ÖP-Staaten haben in den letzten Jahren unzählige politische Turbulenzen durchlebt, die sich auf die ÖP auswirken. Die Demokratiebewegung in Belarus hat gezeigt, dass die universalen Menschenrechte und die Werte der Europäischen Union nichts an Attraktivität eingebüßt haben, auch wenn Lukaschenko sich durch brutale Gewalt im Sattel halten konnte. Das post-revolutionäre Armenien wurde durch den zweiten Bergkarabach-Krieg und den Verlust von Gebieten an Aserbaidschan schwer erschüttert, zudem kam es aufgrund der Hilflosigkeit Brüssels zu einem Vertrauensverlust in die EU. Georgien befindet sich seit zweieinhalb Jahren in einer innenpolitischen Dauerkrise, echte demokratische Reformen liegen auf Eis, und die Regierungspartei greift zuletzt bisweilen auch zu antiwestlicher Rhetorik, was die Beziehungen zur EU belastet. Die Ukraine ringt mit mäßigem Erfolg um Fortschritte im Bereich der guten Regierungsführung und sieht sich aktuell einer besonders massiven Bedrohung durch Russland ausgesetzt; auf beides scheint die EU nur wenig Antworten zu haben. Allein Moldau hat eindeutig positive Entwicklungen vorzuweisen  – der politische Erfolg Maia Sandus und der von ihr gegründeten Partei der Aktion und Solidarität könnten Korruptionsbekämpfung und Reformen maßgeblich voranbringen.

Auch aufseiten der EU gab es gravierende Veränderungen mit Relevanz für die ÖP. Mit dem Brexit schien die Stabilität der Union im Ganzen bedroht zu sein. Zunehmend illiberale Entwicklungen in mehreren EU-Mitgliedsstaaten bedrohen die Glaubwürdigkeit der EU-Demokratieförderung. Die Covid-19-Pandemie hat die politischen Agenden weltweit durcheinandergewirbelt – und dominiert. Gleichzeitig verschafft die EU sich mit dem European Green Deal einen umfassenden neuen Rahmen für ihr innen- und außenpolitisches Handeln.

Ein neuer Ansatz und seine Defizite

Parallel zu diesen Entwicklungen haben die EU-Kommission und der Hohe Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik ihren Ansatz für die ÖP post-2020 definiert. Als übergeordnetes Ziel dient die Stärkung der Resilienz, also „die Fähigkeit von Staaten und Gesellschaften Reformen durchzuführen und so internen und externen Krisen zu widerstehen und sich von ihnen erholen zu können“ – mit Fokus auf die Bereiche Wirtschaft, gute Regierungsführung und Sicherheit, Umwelt und Klima, digitale Transformation und Gesellschaft. Dazu soll ein bis zu 2,3 Milliarden schweres Investitionspaket aus dem EU-Budget mobilisiert werden, das weitere 17 Milliarden staatlicher und privater Investitionen freisetzen könnte.

Neben allgemeiner Zustimmung gab es auch deutliche Kritik an der neuen Agenda. Erstens wurden 10 konkrete Zielvorgaben vorgeschlagen, von denen jedoch nur eine auf Gute Regierungsführung im engeren Sinne abzielt – trotz der großen Herausforderungen gerade in diesem Bereich. Auch wenn „gemeinsame Grundrechte“ weiterhin als Säule der ÖP gelten, und Sicherheit und Demokratie gleichermaßen als Grundlagen für Resilienz betrachtet werden, stellt die ÖP post-2020 demokratische Fortschritte augenscheinlich nicht in den Mittelpunkt der konkreten Zusammenarbeit. Auch das Zivilgesellschaftliche Forum der ÖP kritisiert, dass die EU ihre wirtschaftliche Unterstützung nicht ausreichend von Fortschritten der Partner im Bereich der guten Regierungsführung abhängig macht. Zweitens wurde bemängelt, dass die EU sich zunächst nicht auf die Forderung Georgiens, der Ukraine und der Republik Moldau nach einer „ÖP der zwei Geschwindigkeiten“ eingelassen hat, auch mit dem Argument, Armenien nicht abhängen zu wollen. So schlossen sich die drei ÖP-Staaten sichtbar enttäuscht im Mai 2021 formell zum Assoziiertentrio zusammen, um gemeinsame Interessenvertretung für stärkere Integration in EU-Strukturen zu betreiben. Drittens herrscht Unklarheit bezüglich der Verzahnung des European Green Deals mit der Östlichen Partnerschaft. Zwar ist Umwelt und Klima einer der Schwerpunkte der neuen ÖP-Agenda. Im Vergleich zum Aktionsplan der Grünen Agenda für den Westbalkan sind die Vorschläge der EU für die ÖP-Staaten inhaltlich und finanziell beispielsweise jedoch weitaus weniger umfassend, was gerade in den Triostaaten Fragen zur künftigen Zusammenarbeit aufwirft und insbesondere die Ukraine wirtschaftlich vor enorme Herausforderungen stellen könnte.

Vom Souffleurkasten zurück auf die politische Bühne

Gut möglich, dass die massive öffentliche Kritik an der Untätigkeit der EU im zweiten Bergkarabach-Krieg dem EU-Engagement in der Region inzwischen einen Schub verliehen hat. Dieses Jahr engagierte die EU sich in nie gesehenen Ausmaß in der georgischen Innenpolitik und vermittelte ein Abkommen zwischen der Regierungspartei und der Opposition. Zudem hielt sie aufgrund mangelnder Reformen einen 75 Millionen Euro schweren Makrofinanzkredit für Georgien zurück (auch wenn die georgische Regierung die Situation so darstellte, als habe sie das Geld nicht gebraucht). Auch mit Blick auf den Karabachkonflikt hat die EU sich inzwischen stärker eingebracht und unter anderem über 17 Millionen Euro für humanitäre Hilfe für vom Krieg betroffene Zivilist*innen mobilisiert. Im November vermittelte EU-Ratspräsident Charles Michel die Einrichtung eines direkten Krisenkommunikationskanals zwischen den armenischen und aserbaidschanischen Verteidigungsministern sowie ein bilaterales Treffen zwischen dem aserbaidschanischen Präsidenten Aliyev und dem armenischen Ministerpräsidenten Pashinyan, das am Rande des ÖP-Gipfels stattfinden soll. Auch zu Belarus zeigt die EU mit Blick auf den ÖP-Gipfel Haltung: Nach dem Ausstieg des Landes aus der ÖP im Juni 2021 wird Minsk durch einen leeren Stuhl vertreten sein; an dessen Stelle finden im Vorfeld mehrere Austausche hochrangiger EU-Vertreter mit der Oppositionsführerin Sviatlana Tsikhanouskaya statt.

Darüber hinaus scheint die EU inzwischen zu einem besseren Verständnis darüber gelangt zu sein, wie sie das Assoziiertentrio für ihre eigenen Interessen nutzen kann. Im Juli nahm Ratspräsident Michel öffentlichkeitswirksam am Gipfel des Trios in Batumi teil und schlug den drei ÖP-Staaten vor, in einen Reformwettbewerb einzutreten. Anfang Dezember beschloss der Europäische Rat Unterstützungsmaßnahmen für die Verstärkung der medizinischen und Zivilschutzkapazitäten der Armeen Georgiens (12.75 Mio. Euro), der Ukraine (31 Mio. Euro) und der Republik Moldau (7 Mio. Euro) im Rahmen der Europäischen Friedensfazilität. Die Regierungsoberhäupter des Assoziiertentrios kamen zudem im Vorfeld des ÖP-Gipfels erstmals zu dritt mit Treffen mit dem Ratspräsidenten, der Kommissionspräsidentin und dem Parlamentspräsidenten in Brüssel zusammen.  

Die Ampelkoalition könnte eine Chance für die Östliche Partnerschaft sein

Deutschland hat sich im Hinblick auf die Östliche Partnerschaft bislang eher unambitioniert gezeigt. Schon in den frühen Jahren der ÖP galt Deutschland als passiv, und bis heute wird Deutschland gerade in den Triostaaten eher als Hindernis denn als visionärer Voranbringer der ÖP gesehen, auch aufgrund seiner inkonsistenten und vergleichsweise behutsamen Politik gegenüber Russland. In der Agenda der deutschen EU-Ratspräsidentschaft 2020 spielte die Östliche Partnerschaft ebenfalls nur eine geringe Rolle. Mit der Ampelkoalition und der grünen Annalena Baerbock als Außenministerin könnte die Rolle Deutschland sich jedoch endlich wandeln. In ihrem Bundestagswahlprogramm hatten die Grünen beteuert, demokratische und sozial-ökologische Transformationsprozesse in der Region auch durch den stärkeren Einsatz von Konditionalität fördern zu möchten, den Triostaaten den Weg zu einem EU-Beitritt offenzuhalten sowie mehr außen- und sicherheitspolitische Verantwortung für die östlichen Nachbarn der EU übernehmen zu wollen. Auch der Koalitionsvertrag lässt auf eine gestiegene Bereitschaft für politisches Engagement in Osteuropa schließen. Wie könnte die Ampelkoalition Deutschland aus dem ÖP-politischen Dornröschenschlaf wecken?

1. Mehr deutsches politisches Engagement in der ÖP und der Region

Die neue Bundesregierung sollte ihr politisches und wirtschaftliches Gewicht viel deutlicher in der Östlichen Partnerschaft einbringen. Um nachhaltige Stabilität in der Region zu erzielen, sind hochrangigeres politisches Commitment für die ÖP, klarere Sprache und ambitioniertere Ziele vonnöten. Um die Glaubwürdigkeit des deutschen und europäischen Engagements zu steigern, muss die Ampel zudem für mehr Kohärenz in der deutschen Osteuropapolitik sorgen. Konkret könnte Außenministerin Annalena Baerbock eine*n Koordinator*in für die Zusammenarbeit mit den Ländern der Östlichen Partnerschaft ernennen. Diese*r sollte im Unterschied zu den bisherigen Koordinatoren nicht ausschließlich für die zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit zuständig sein. Stattdessen sollte besagte*r Koordinator*in dafür Sorge tragen, dass Deutschland im Austausch mit und unter Berücksichtigung der Anliegen der zivilgesellschaftlichen Akteur*innen zu einem strategischeren politischen Akteur in der Region wird, der Demokratie und Konfliktbearbeitung in unserer Nachbarregion stärker priorisiert.

Die deutschen Beziehungen zu den ÖP-Staaten sollten zwar eng mit der ÖP verzahnt sein, aber dennoch nicht mit ihr enden. Eine weitere Möglichkeit für mehr deutsches Engagement in der Region bietet sich mit der geplanten Überprüfung der BMZ-2030 Reform und der Länderliste. Dass Armenien als ÖP-Land trotz der samtenen Revolution 2018 nicht als bilateraler Transformationspartner ausgewählt wurde, ist aus demokratie- und geopolitischer Perspektive ein Fehler, der sobald wie möglich korrigiert werden sollte. Durch die Aufnahme Armeniens in die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit könnte die Bundesregierung die demokratische Entwicklung Armeniens stärker fördern, die Verbindungen des stark von Russland abhängigen Landes in die EU ausbauen, und so auch Synergieeffekte für die ÖP kreieren.

Auch mit Blick auf den Bergkarabachkonflikt kann die Bundesregierung sich im Rahmen der EU einsetzen. Das Treffen zwischen Aliyev und Paschinjan in Brüssel könnte den Grundstein für künftiges EU-Engagement legen. Die EU sollte mit einer praktischen Agenda vorangehen, ihre finanzielle Unterstützung aber von breiteren politischen Fortschritten abhängig machen, die beispielsweise regelmäßigen politischen Dialog zwischen den Konfliktparteien unter Beteiligung der EU, verbesserten Zugang internationaler Akteur*innen in die Konfliktgebiete oder gar einen neuen, inklusiven und umfassenden Friedensprozess umfassen könnten. Hierzu sind auch Absprachen mit Russland nötig, das zweifellos den größten Einfluss auf die Konfliktparteien und das Konfliktmanagement hat.

2. Demokratie und gute Regierungsführung ins Zentrum der ÖP

Die Schwierigkeit, Fortschritte im Bereich der Demokratie und gute Regierungsführung quantitativ zu messen und in griffige, leicht kommunizierbare Zielvorgaben zu packen, darf nicht dazu führen, dass die EU diesen Bereich im Vergleich zu den restlichen aus den Augen verliert. Die neue Bundesregierung sollte sich im Rahmen der ÖP daher für seine Priorisierung einsetzen. Dazu ist keine Änderung der Agenda post-2020 nötig, sondern eine stärkere politische Knüpfung von deutschem und europäischem finanziellen Engagement an demokratische Fortschritte. Die Ankündigung der Ampelkoalition, die Entwicklungszusammenarbeit stärker werteorientiert auszurichten, geht in die richtige Richtung. Interessensausgleich und respektvoller Dialog zwischen unterschiedlichen Partnern ist wichtig, und natürlich können demokratische Reformen ohne die grundsätzliche Bereitschaft der Partner und deren local ownership nicht erfolgreich umgesetzt werden. Doch auch unter schwierigen Bedingungen können klare politische Sprache und Bedingungen Wirksamkeit entfalten und so die Zivilgesellschaften der ÖP-Staaten bei ihrem Einsatz für demokratischen Fortschritt unterstützen. Letztere fordern seit vielen Jahren einen verstärkten Einsatz von Konditionalität.

Es liegt darüber hinaus nicht nur normativ, sondern auch geopolitisch im Interesse der EU, die ÖP stärker werteorientiert auszurichten. Die Ambition, mit politischem und finanziellem Engagement zu demokratischen Fortschritten beizutragen, ist ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal der Europäischen Union im Vergleich zu China, Russland und anderen internationalen Akteuren, die in der Region aktiv sind. Die Schwächung dieses Alleinstellungsmerkmals würde die EU in diesem geopolitischen Umfeld nicht zwangsläufig „wettbewerbsfähiger“ machen, sondern könnte sie lediglich zum willkommenen Finanzierungsinstrument für illiberale Eliten degradieren lassen.

3. Engagierte Klimaaußenpolitik auch für die Östliche Partnerschaft

Die Bundesregierung hat sich einer „kohärenten Klimaaußenpolitik“ verschrieben und verlegt dazu wichtige Kompetenzen aus dem Umweltministerium in das Auswärtige Amt. Die gesteigerten Ambitionen sollten sich auch in der Östlichen Partnerschaft niederschlagen, denn deren Ziele können nicht ohne eine umfangreiche Zusammenarbeit bei der nachhaltigen Transformation der Volkswirtschaften im Rahmen des European Green Deal erreicht werden. Ohne echte Teilhabe der ÖP-Länder an dem Generationenprojekt und ohne ein „Mitnehmen“ bei den erwarteten technologischen und gesellschaftlichen Innovationen droht mittelfristig eine weitere Vergrößerung der Wohlstandslücke zwischen der EU und der Nachbarschaft. Auf sich allein gestellt fehlen den Ländern die Mittel für die Investitionen in den Wandel. So sollte sich die Bundesregierung für konkrete Zielvereinbarungen und Finanzierungszusagen für Projekte des Green Deal-Strukturwandels einsetzen. Mittel aus dem ÖP-Investitionsplan können nur ein Anfang sein. Die konkreten Aufgaben dabei sind sehr vielfältig: Vom Ausbau der erneuerbaren Energien, der auch die Energiesicherheit der Länder stärkt, über die Modernisierung der Eisenbahninfrastruktur bis zum nachhaltigen Waldmanagement und Aufforstungen zum Schutz der Grundwasserressourcen und Böden  – um nur wenige mögliche Prioritäten zu nennen, mit denen Lebensqualität und Resilienz gegenüber ökonomischen und klimatischen Krisen erhöht werden können. Hierbei sollte auch auf Synergien und Kohärenz mit bilateralen Initiativen wie der Deutsch-Ukrainischen Energiepartnerschaft und weiteren relevanten Foren wie der Europäischen Energiegemeinschaft geachtet werden.

4. Das Assoziiertentrio politisch aufwerten, ohne die anderen ÖP-Länder zu vernachlässigen

Zuletzt sollte die neue Bundesregierung das Assoziiertentrio nachdrücklich bei ihrem Ziel der engeren Anbindung an die EU unterstützen. Unterstützung heißt in diesem Kontext einerseits, die Ambitionen der drei Staaten rhetorisch zu befürworten und sich für deren Berücksichtigung auf EU-Ebene einzusetzen. Die EU sollte sich beispielsweise der Forderung aus den Triostaaten nach regelmäßigen quadrilateralen Treffen auf Ebene der Staatsoberhäupte anschließen, auch um engere Zusammenarbeit in einzelnen Politikfeldern strategisch abzustimmen. Darüber hinaus sollte die neue Bundesregierung – analog zum grünen Wahlprogramm – deutlich machen, dass sie dem Beginn neuer Erweiterungsprozesse offen gegenübersteht, sofern die Partner die bereits in den Assoziierungsabkommen genannten Reform- und Umsetzungsschritte erfolgreich gehen. Das wäre auch insofern konsequent, als die Triostaaten bei vielen politischen und wirtschaftlichen Indikatoren ähnliche Ergebnisse erzielen wie die Westbalkan-Staaten. Unterstützung heißt andererseits aber auch, notwendige Reformen bei den Partnerländern nachdrücklicher und kritischer einzufordern als bislang.

Gleichzeitig sollte die Ampel die anderen ÖP-Staaten und Gesellschaften nicht aus dem Blick verlieren. Im Hinblick auf seine „Annäherungsquote“ an die EU liegt Armenien beispielsweise deutlich näher bei den Triostaaten als bei Aserbaidschan und Belarus. Das zeigt ein Blick in den Eastern Partnership Index, der regelmäßig durch das Zivilgesellschaftliche Forum der ÖP veröffentlicht wird. Für Aserbaidschan und Belarus werden eigene Formen der wertebasierten Zusammenarbeit im Kontext der ÖP gefunden bzw. weiterentwickelt werden müssen, die den Fokus auf Kooperation mit nichtstaatlichen Akteur*innen – auch in der Diaspora – legen und sich insgesamt aus dem Austausch mit ihnen heraus entwickeln sollten.

Die Ampel steht vor großen außenpolitischen Herausforderungen und die Beziehungen zu den ÖP-Staaten sind nur eine Aufgabe unter vielen. Doch wie sagte einst schon Heinrich Böll, zugegebenermaßen in einem anderen Kontext: „Es ist unsere Aufgabe daran zu erinnern, dass der Mensch nicht nur existiert, um verwaltet zu werden.“