Syrien: Vorschuss für den Falschen

Standpunkt

Auch nach der Wiederaufnahme Syriens in die Arabische Liga sollte die Europäische Union an ihrem Sanktionskurs gegen das Regime Baschar al-Assads festhalten.

Refugee camp in Aleppo, December 2013

Nicht nur Druck, sondern auch Anreize brauche es, um den anhaltenden Kriegszustand in Syrien zu beenden – so begründeten Vertreter arabischer Staaten im Mai die Entscheidung der Arabischen Liga, dass Syrien fortan seinen Sitz in der Organisation wieder einnehmen dürfe. Elf Jahre zuvor war Syrien aufgrund von Baschar al-Assads gewaltsamer Niederschlagung der Proteste im eigenen Land ausgeschlossen worden.

Die Kehrtwende der arabischen Staaten entspringt eher Resignation als Hoffnung: Zwar wird derzeit nur noch an wenigen Orten Syriens gekämpft, doch die Lage ist verheerend. Das Land liegt in Trümmern, über 90 Prozent der in Syrien verbliebenen Hälfte der Bevölkerung leben in Armut. Die syrischen Sicherheitskräfte verüben weiterhin schwerste Menschenrechtsverbrechen und das Schicksal von über Hunderttausend Verschleppten und Verschwundenen ist ungeklärt.

Eine sichere Rückkehr der über 5,6 Millionen aus Syrien Geflohenen ist unter diesen Umständen nicht möglich. Die meisten von ihnen leben in prekären Verhältnissen in den Nachbarstaaten, insbesondere der Türkei, in Jordanien und im Libanon. Letzterer befindet sich seit 2019 selbst in einer dramatischen Krise; statt dringend benötigte Reformen einzuleiten, dienen die syrischen Geflüchteten der politischen Elite parteiübergreifend als Sündenböcke.

Captagon aus Syrien beunruhigt Herrscher am Golf

Für die Golfstaaten ist das größte Ärgernis an der Situation in Syrien, dass ihre Länder zum Hauptmarkt für Syriens Drogenschmuggel geworden sind. Seit Jahren überschwemmt billig in großer Menge produziertes Captagon aus Syrien die Region – ein Geschäft, das direkt in den Händen des Regimes liegt. Da dessen internationale Isolation daran nichts verändert hat, tritt die Arabische Liga nun politisch in Vorleistung. Sie erhofft sich von der symbolischen Öffnung substanzielle Zugeständnisse seitens Assads. Für Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate sieht Syrien-Expertin Natasha Hall überdies geopolitische Erwägungen: „Sie können absehen, wie die USA sich graduell immer weiter vom Nahen Osten abwenden, und so schauen sie, wie sie sich mit Russland oder China gutstellen können.“

Ein „erster Schritt“ sei dies zur Normalisierung, die im Einklang mit der UN-Sicherheitsratsresolution 2254 stehen soll, nicht konkurrierend, sondern komplementär. Humanitäre, politische und Sicherheitsfragen sollen angegangen werden. Es war ein knappes Votum, längst nicht alle Mitgliedsstaaten der Arabischen Liga stimmten dafür. Insbesondere Katar, das seit Beginn des Konfliktes Assads Opponenten unterstützte, ist dagegen, verhinderte den Schritt jedoch auch nicht. Doch angesichts des lautstarken Optimismus, mit dem die treibenden Kräfte der Normalisierung loben, wie positiv Assad die Entscheidung aufgenommen habe, scheinen sie selbst nicht allzu überzeugt davon zu sein.

Jordanien geht gegen Waffenschmuggel vor

Bestes Beispiel ist Jordanien, das 2021 bereits bilateral die Hand in Richtung Damaskus ausstreckte. Just einen Tag nach der Ankündigung der Arabischen Liga bombardierte Jordaniens Luftwaffe in Südsyrien das Anwesen eines bekannten Drogenhändlers, tötete ihn und seine Familie. „Unser Land hat fürchterlich gelitten, und wir werden tun, was immer nötig ist, dieser Bedrohung zu begegnen – und sei es mit militärischer Gewalt innerhalb Syriens“, erklärte der jordanische Außenminister Ayman Safadi.

Im Gegenzug zur Normalisierung hatte Jordanien schon 2021 gefordert, das syrische Regime müsse den Schmuggel, der zum Großteil durch Jordanien führt, unterbinden. Stattdessen hatten die jordanischen Behörden jedoch immer mehr Drogen aufgebracht und waren an der Grenze immer wieder in Gefechte mit Schmugglern verwickelt worden.

Keine Hilfen für den Wiederaufbau

Insofern tun europäische Staaten gut daran, die eigene Linie beizubehalten: kein Wiederaufbau ohne erkennbare ernsthafte Schritte einer Machtübergabe in Syrien. Denn bei allem vollmundigem Tönen der arabischen Staaten, sie wollten jetzt eine eigene Initiative anführen: Bezahlen wollen sie nicht. Seit jeher schultern die USA und Europa den Löwenanteil humanitärer Hilfen, der Syrer*innen in- und außerhalb Syriens das absolute Minimum zum Überleben sichert.  

Dass die Arabische Liga sich für eine Verbesserung der Menschenrechtslage einsetzen wird, ist kaum zu erwarten. Umso wichtiger, dass Europa im eigenen Interesse seine Sanktionen gegen jene Individuen und Organisationen aufrechterhält, die an den Menschenrechtsverletzungen beteiligt sind. Diese sind es, die Millionen Syrerinnen und Syrer zur Flucht gezwungen haben und deren Rückkehr verhindern. Vor allem für sie wird der Schulterschluss zwischen Assad und den anderen Autokraten greifbare negative Konsequenzen haben, wenn Europa nicht wenigstens ein bisschen dagegenhält.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Table.Media.