Pestizide: Brasilien – ein profitabler Markt

Pestizidatlas

Im weltweiten Vergleich bricht Brasilien beim Import und beim Verbrauch von Pestiziden Rekorde. Ein bedeutender Teil der in Brasilien verwendeten Agrarchemikalien wird in der Europäischen Union hergestellt - und gilt als hochgefährlich.

Das brasilianische Gesundheitsministerium erfasste viele Fälle von Pestizidvergiftungen. Sowohl die günstigen politischen Rahmenbedingungen für den Sektor der Agrarchemikalien als auch die brasilianische Landpolitik sind Gründe für den weiterhin zunehmenden Einsatz von Pestiziden im Land.
Teaser Bild Untertitel
Das brasilianische Gesundheitsministerium erfasste viele Fälle von Pestizidvergiftungen. Sowohl die günstigen politischen Rahmenbedingungen für den Sektor der Agrarchemikalien als auch die brasilianische Landpolitik sind Gründe für den weiterhin zunehmenden Einsatz von Pestiziden im Land.

Brasilien hat sich zu einem der größten Verbraucher von Pestiziden weltweit entwickelt. Kein anderes Land hat im Jahr 2021 so viele Pestizide importiert. Im Jahr 2010 verbrauchte das Land 384.501 Tonnen Pestizide. Die ausgebrachte Pestizidmenge stieg in den folgenden Jahren kontinuierlich an. Im Jahr 2021 erreichte sie 720.870 Tonnen, was einem Anstieg von 87% in zwölf Jahren entspricht.

Mehr als die Hälfte der insgesamt im Land genutzten Pestizide wird für den Anbau von Soja verwendet (54 Prozent).

Die meisten Pestizide werden für sogenannte commodities eingesetzt, d.h. für den Anbau von für den Handel bestimmten landwirtschaftliche Erzeugnissen. Den größten Anteil am Pestizidmarkt hat mit 54% der Anbau von Soja.
Zur größeren Ansicht hier klicken. Die meisten Pestizide werden für sogenannte commodities eingesetzt, d.h. für den Anbau von für den Handel bestimmten landwirtschaftliche Erzeugnissen. Den größten Anteil am Pestizidmarkt hat mit 54% der Anbau von Soja.

Für den Anbau von allein vier Kulturen - Sojabohnen, Zuckerrohr, Mais und Baumwolle – werden landesweit 83 Prozent aller Pestizide verbraucht.

Der Anstieg des Pestizidverbrauchs hängt vor allem mit der Ausweitung der Anbauflächen dieser Kulturen zusammen, die wiederum für die Nutztierhaltung und die Ethanolproduktion verwendet werden. Brasilien ist weltweit größter Exporteur von Soja, Rindfleisch, Geflügel und Zucker sowie der zweitgrößte Getreideexporteur der Welt. Die Anbaufläche für Zuckerrohr ist zwischen 2005 und 2022 um 70 Prozent gestiegen (von 5,8 Millionen Hektar auf 9,8 Millionen Hektar), und die Anbaufläche für Soja hat im gleichen Zeitraum um 75,6 Prozent zugenommen (von 23,4 Millionen Hektar im Jahr 2005 auf 41,1 Millionen Hektar in der Ernteprognose für 2022/23) – eine Fläche größer als Deutschland und Belgien zusammen. Der stetige Anstieg beim Einsatz von Pestiziden in Brasilien geht Hand in Hand mit der stetigen Ausweitung der Anbauflächen für gentechnisch veränderte Pflanzen.

Hinzu kommt, dass von den zehn meistverkauften Pestiziden im Land im Jahr 2021 vier in der Europäischen Union verboten sind: Mancozeb, Chlorthalonil, Atrazin und Acephat, die jeweils in der 10-er Rangliste auf den Plätzen 3 bis 6 liegen. Im Jahr 2021 wurden rund 50.000 Tonnen Mancozeb, 38.000 Tonnen Chlorthalonil, 37.000 Tonnen Atrazin und 36.000 Tonnen Acephat verkauft.

Auf dem brasilianischen Markt wurden 2020 rund 28 Milliarden Euro (101,7 Milliarden Reais) für Agrarchemikalien umgesetzt. Dies geht aus einer Erhebung hervor, die auf den Abrechnungen von nationalen und internationalen Unternehmen basiert, die in Brasilien tätig sind. Unternehmen mit Sitz in der Europäischen Union verkaufen Pestizide an Nicht-EU-Länder, die zumindest in einigen Ländern Europas/die in der Europäischen Union verboten sind, so auch an die Mercosur-Länder (Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay). Das Unternehmen Sipcam Oxon Spa zum Beispiel exportierte 2019 200 Tonnen Atrazin und 100 Tonnen Ametryn in die Mercosur-Länder. Im selben Jahr exportierten auch andere Unternehmen in diese vier Länder Südamerikas: Bories 440 Tonnen Carbaryl, Bayer 34 Tonnen Ethoxysulfuron und BASF 554 Tonnen Fipronil.

Den wirtschaftlichen Gewinnen der Unternehmen stehen schwerwiegende Auswirkungen auf die Gesundheit der brasilianischen Bevölkerung gegenüber: Zwischen 2010 und 2019 erlittenen in Brasilien 56.870 Menschen Vergiftungen durch Pestizide. Das sind durchschnittlich 5687 Fälle pro Jahr, also 15 betroffene Menschen pro Tag. Das brasilianische Gesundheitsministerium gibt selbst zu, dass die Dunkelziffer höher liegt. Auch die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen ist bedroht: Etwa 15 Prozent der von Pestizidvergiftungen betroffenen Bevölkerung sind zwischen 0 und 19 Jahre alt. Zwischen 2010 und 2019 waren 542 Säuglinge in Brasilien betroffen, d.h. Kinder zwischen 0 bis 1 Jahre.

Beim Pestizideinsatz gibt es auch eine geschlechtsspezifische Komponente: die schädlichen Stoffe wirken sich in besonderem Maße auf die Gesundheit und Reproduktivität von Frauen aus. Fehlgeburten nach dem Kontakt mit Pestiziden, nachweisbare Pestizidrückstände in der Muttermilch, fötale Missbildungen können auftreten, auch tritt bei Kindern die Pubertät frühzeitig ein. Zwischen 2010 und 2019 erlitten in Brasilien 293 schwangere Frauen eine Pestizidvergiftung. Zusammengefasst wirken sich die Stoffe schwerwiegend auf die weibliche Gesundheit sowie auf die frühe Kindheit - bereits vor der Geburt - aus. 

Babys und schwangere Frauen sind in Brasilien von Pestizidvergiftungen betroffen. Minas Gerais ist der Bundesstaat in dem die meisten betroffenen Babys erfasst wurden. Die Bundesstaaten Espírito Santo, Pernambuco, Rondônia und Tocantins haben im Verhältnis zu ihren Einwohner*innen die meisten Pestizidvergiftungen verzeichnet.
Babys und schwangere Frauen sind in Brasilien von Pestizidvergiftungen betroffen. Minas Gerais ist der Bundesstaat in dem die meisten betroffenen Babys erfasst wurden. Die Bundesstaaten Espírito Santo, Pernambuco, Rondônia und Tocantins haben im Verhältnis zu ihren Einwohner*innen die meisten Pestizidvergiftungen verzeichnet.


Der Beitrag erschien zuerst auf Portugiesisch im Pestizidatlas des Brasilienbüros der Heinrich-Böll-Stiftung. Er ist auch auf der Webseite des Büros erschienen. Auf der Büro Webseite finden Sie weitere portugiesischsprachige Beiträge, Graphiken sowie Kurzvideos mit einigen Autor*innen.

Übersetzung aus dem Portugiesischen und Redaktion: Lateinamerikareferat hbs