Kolumbien zwischen den Wahlen: gemischte Vorzeichen für die Friedensarbeit

Hauswand mit Friedenstaube
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Das Foto aus der Provinz Norte de Santander, Kolumbien, das die Sehnsucht nach Frieden im Lande ausdrückt, ist nicht neu, sondern stammt aus dem Jahr 1984

Nach den kolumbianischen Parlamentswahlen im März stehen die Ampeln für die derzeitigen Friedensgespräche zwischen der Regierung und den Revolutionären Streitkräften Kolumbiens (FARC) zwar grundsätzlich auf grün. Die Wahlen bestätigen jedoch die nach wie vor nur zurückhaltende Unterstützung der Bevölkerung. Außerdem rücken sie weitere Hürden für die Friedensarbeit in den Blick.

Grünes Licht für Fortgang der Friedensverhandlungen

In offener Opposition zum Friedensprozess in Havanna war das Centro Democrático, die frisch gegründete Partei des ehemaligen Präsidenten Álvaro Uribe, ins Rennen gezogen. Das anvisierte Ziel von vier Millionen Stimmen verfehlte sie jedoch bei den Kongresswahlen. Ihr begrenzter Erfolg bedeutet nun erstmal grünes Licht für den Fortgang der Verhandlungen. Mit zwei Millionen der über 14 Millionen Stimmen wurde das Centro jedoch zweite Kraft im Senat. Ein beachtliches Ergebnis, handelt es sich doch um eine neue Partei, die in Ermangelung einer „maquinaria“ - eines eigenen klientelistischen Apparates in Kolumbiens Regionen - auf den wortstarken Uribe als einziges Zugpferd setzte. Sollte es in Havanna zu einem Friedensvertrag kommen, wofür derzeit einiges spricht, wird die Fraktion unter der Führung des frisch gekürten Senators Uribe der Umsetzung der Vereinbarungen durch das Parlament sicherlich einige Steine in den Weg legen.

Die Parlamentswahl hat insofern die soziale Basis, aber auch die Grenzen des uribismo aufgezeigt. Die Emanzipation des ursprünglich als Uribe-Erben angetretenen aktuellen Präsidenten Juan Manuel Santos ist nun offiziell und definitiv vollzogen. Mit 21 von 102 Senatoren und 37 von 156 Repräsentant/innen behauptete sich seine U-Partei als jeweils stärkste Kraft. Die von Santos geführte Koalition der „Nationalen Einheit“, bestehend aus der Liberalen Partei, der Partei des Radikalen Wandels und der U-Partei, verliert jedoch im Senat ihre absolute Mehrheit.

Santos selbst stellt sich am kommenden 25. Mai zur Wiederwahl. Sollte diese gelingen, hätte die Regierungskoalition im Parlament nun weniger Spielraum als in der vorangegangenen Legislaturperiode. Zwei Optionen blieben. Santos könnte entweder um die konservative Fraktion werben, die in sich gespalten ist und sich ihre Zustimmungen teuer erkaufen lassen wird. Alternativ stünden links der U-Partei das Linksbündnis Demokratischer Pol und die bürgerlich-progressive Grüne Allianz als potentielle Bündnispartner zur Verfügung. Beide Parteien befürworten den Friedensprozess, stehen Santos jedoch sehr kritisch gegenüber, nicht zuletzt, nachdem dieser den linken Bogotaner Bürgermeister Gustavo Petro entgegen der Empfehlungen der Interamerikanischen Menschrechtskommission entlassen hat.

Skepsis und Verdrossenheit gegenüber Politik und Friedensprozess

Als Gradmesser der Stimmung im Land haben die Parlamentswahlen einen Vorgeschmack davon gegeben, welche Hürden die Friedensarbeit und allgemein die Demokratie in Kolumbien noch zu nehmen hat. Nur 43 Prozent der Wahlberechtigten beteiligten sich, die niedrigste Quote bei Kongresswahlen seit zwanzig Jahren. Nachdem sich die Kampagnen der Regierungs- und der Hauptoppositionspartei rund um die Verhandlungen mit der FARC polarisierten, darf man diesen Wert durchaus als nur lauwarmes Interesse für den Prozess bzw. als Enttäuschung gegenüber dem Politikbetrieb interpretieren. Ein weiterer Indikator ist der hohe Anteil der Proteststimmen, der „votos en blanco“, mit über 5 Prozent der abgegebenen Stimmen.

Ein Echo dieses Stimmungsbildes bieten die aktuellen Umfragewerte des Präsidenten, der derzeit auf angeblich weniger als 25 Prozent der Wählerstimmen zählen kann. Wenn Santos‘ Wiederwahl trotzdem als aussichtsreich gilt, hat dies weniger mit seiner Popularität zu tun, als mit den bisher ebenso bescheidenen Umfragewerten seiner Kontrahenten. Unter diesen hat in den letzten Wochen der Kandidat der Grünen Allianz Enrique Peñalosa an Boden wettgemacht und gilt derzeit als Favorit hinter Santos für den zweiten Wahlgang, wenn auch nur mit prophezeiten 15 Prozent. Uribes Kandidat Oscar Iván Zuluaga rangiert in den Umfragen auf Platz drei.

In Zeiten, in denen für Kolumbien nicht weniger auf dem Spiel steht, als die Option, einen der blutigsten und langlebigsten Konflikte der Westlichen Hemisphäre zu beenden, gibt dieses Stimmungsbild zu denken. Die Regierung hat es bisher nicht vermocht, eine große Mehrheit der Bevölkerung für den Friedensprozess zu mobilisieren. Zu tief sitzen die Skepsis nach Jahrzehnten gescheiterter Versuche sowie das Misstrauen gegenüber stark diskreditierten Rebellen, aber auch gegenüber Regierungsversprechen. Eine Verdrossenheit, die dem Frieden zum Verhängnis werden könnte. Denn die Herausforderungen der Aufbauarbeiten einer Post-Konfliktphase werden ohne den Rückhalt und das Engagement der Bevölkerung nicht zu stemmen sein.

Abgeordnete auf der Anklagebank: Verquickung von Mafia und Politik

Die Wahlen haben außerdem eine weitere Hürde für die kolumbianische Friedensarbeit wieder in den Blick gerückt, die unter Santos entgegen anfänglicher Versprechen kaum niedriger geworden ist und die die Politikverdrossenheit schürt: die Verquickung von Mafia und Politik. Gemäß der kolumbianischen Stiftung „Frieden und Versöhnung“ (Fundación „Paz y Reconciliación“) steht heute fast jede/r dritte gewählte Parlamentarier/in (70 insgesamt) unter Verdacht, Verbindungen zu ehemaligen Paramilitärs oder anderen kriminellen Vereinigungen zu unterhalten. Oft handelt es sich um enge Familienangehörige verurteilter Politiker, von denen man nun erwarten darf, dass sie die Machenschaften ihrer Verwandten weiterführen. 26 Abgeordnete des neuen Kongresses stehen deshalb gegenwärtig vor Gericht. Acht von ihnen gehören der Partei des Präsidenten an.

Kriminelle Einflüsse in der Politik sind wahrlich kein neues Phänomen in Kolumbien. Doch war zu hoffen, dass der sogenannte Parapolitik-Skandal, der nach den Kongresswahlen 2006 zu gerichtlichen Ermittlungen und Urteilen gegen mehr als ein Drittel der frisch gewählten Senatoren aufgrund von Verbindungen zu Paramilitärs geführt hatte, den Preis dieser Allianzen erhöhen und das Bewusstsein der Wähler und Wählerinnen stärken würde. 2011 hatten sich insgesamt 121 Kongressabgeordnete, gewählt in den Jahren 1998, 2002 und 2006, sowie über 100 Staatsbeamte wegen Verbindungen in die Illegalität vor Gericht zu verantworten.

Zwar gibt es unter den neu gewählten Parlamentarier/innen auch einige mutige Ankläger/innen der Parapolitik, wie die Senatorin Claudia López, die den höchsten Stimmenanteil der Grünen Allianz auf sich vereinigen konnte. Die März-Wahlen lassen jedoch auch den Schluss zu, dass unter Verdacht oder Ermittlung stehende Kandidat/innen noch immer leichten Unterschlupf bei fast allen Parteien finden, Kolumbiens Wahlfinanzierungs-Gesetze immer noch Einfallstore für schmutzige Gelder bieten und man sich in vielen Regionen mit gekauften Stimmen über Reputationsprobleme hinwegsetzen kann.

Diese Verbindung von Illegalität und Politik bedroht den Friedensprozess in besonderer Weise. Sie leistet jenen Interessen Vorschub und Zugang, die sich, notfalls mit Gewalt, gegen die Art von sozialen und politischen Reformen stemmen, die eine Friedensagenda mit sich bringen wird. Damit einhergehende Sicherheitsrisiken für demobilisierte FARC-Kämpfer/innen und soziale Bewegungen sind vorprogrammiert. Präsident Santos hat sich von diesem Problem nicht ausreichend distanziert. Im Gegenteil, er muss sich den Vorwurf gefallen lassen, dass er den Frieden verspricht und sich gleichzeitig klientelistischer Strukturen bedient, die diesen unterwandern.

Die kolumbianischen Parlamentswahlen erinnern daran, dass der Frieden im Land zwar in Havanna beginnt. Weitergehen kann er allerdings nur, wenn er auf den Rückhalt und das Engagement der Bevölkerung zählen kann und von der Eindämmung anderer Gewaltursachen und – akteure und deren politischen Verbündeten im Land begleitet wird. Es bleibt zu hoffen, dass sich alle Kandidaten in den Wochen bis zur Präsidentschaftswahl diese Themen ernsthaft auf die Fahnen schreiben.