Staat und Markt: Aufeinander angewiesen

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Der Staat kann ein grundlegendes Sicherungsniveau schaffen, wenn Wettbewerb und Wertschöpfung ermöglicht werden. Rechtlich, finanziell sowie organisatorisch funktioniert das Zusammenspiel auf vielen Ebenen und über drei Prinzipien: Äquivalenz, Solidarität und Subsidiarität.

Sozialatlas Infografik: In Deutschland verteilen sich die Zuständigkeiten in der Sozialpolitik auf Bund, Länder, Kommunen und Betriebe. Sie sind nicht klar voneinander abgrenzbar, sondern greifen ineinander
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Das föderalistische Mehrebenensystem in Deutschland ist stark von politischen Entscheidungen beeinflusst.

Staat, Wirtschaft und Gesellschaft als Partner

Das Wesen einer sozialen Marktwirtschaft besteht darin, einerseits Wohlstand und Sicherheit in der Gesellschaft zu garantieren und andererseits die Freiheit der Wirtschaft und der Individuen zu schützen. Der Sozialstaat ist auf die Marktwirtschaft angewiesen, da mit der ökonomischen Wertschöpfung die Finanzierungsgrundlage des Sozialstaates in Form von Steuereinnahmen und Sozialversicherungsbeiträgen entsteht. Die Marktwirtschaft ist von der Risikobereitschaft der Individuen abhängig, denn die erhöht die Innovationsfähigkeit einer Gesellschaft. Der Sozialstaat wiederum hat die Aufgabe, bestimmte Lebensrisiken abzufedern und so das marktwirtschaftliche Verhalten der Gesellschaft zu fördern.

Cover Sozialatlas 2022

Der Sozialatlas 2022

Der Sozialatlas 2022 bringt Übersicht in die Komplexität des Sozialsystems, zeigt seine Grundlagen und Perspektiven. So wird sichtbar, dass der soziale Zusammenhalt auf einer Kooperation von Gesellschaft, Staat und Wirtschaft beruht – und seine Zukunft nur gemeinsam gestaltet werden kann.

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Die Interaktionen zwischen Staat, Wirtschaft und Gesell­schaft sind vielfältig. So gibt es, erstens, rechtliche Regelungen, um über Ge- und Verbote wie etwa das Arbeitszeitgesetz das Verhalten der Marktakteure zu steuern oder auch die Gesundheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu sichern. Zweitens umfasst das Zusammenspiel materielle Leistungen wie das Arbeitslosengeld für Menschen, die in bestimmten Situationen kein ausreichendes Einkommen erzielen können. Drittens gehört die Bereitstellung von ­sozialer Infrastruktur in Form von Sach- und Dienstleistungen dazu, wie etwa der Bau und Betrieb von Kindergärten, Krankenhäusern oder Schulen. Entsprechend wird der Sozialstaat in vielen Politikfeldern gestaltet: zum einen durch die Sozialpolitik mit ihrem lohnzentrierten Sozialversicherungssystem, im weiteren Sinne aber auch durch Arbeitsmarkt-, Bildungs-, Familien- oder Gleichstellungspolitik. Rechtssystem, Finanzierung und Organisation des Sozialstaates beruhen dabei auf drei Kernprinzipien.

Äquivalenz, Solidarität und Subsidiarität als Prinzipien

Das Äquivalenzprinzip beschreibt die Gleichwertigkeit von Leistungen und Gegenleistungen. Im Falle eines Risiko­eintritts, etwa bei Arbeitslosigkeit, orientiert sich die in ­Anspruch genommene Leistung in Form von Arbeitslosengeld an der vorher durch Beiträge zur Arbeitslosenversicherung erbrachten Leistung.

Das Solidaritätsprinzip bedeutet, dass sich Zahlungen wie etwa Pflege- oder Wohngeld nicht an einer vorher erbrachten Leistung, sondern am Bedarf orientieren. Es beruht darauf, ­gegenseitig Verantwortung füreinander zu übernehmen. Solidarität schafft nicht nur die Grundlage für Sicherheit, sondern auch für individuelle Freiheit.

Socialatlas Infografik: Die Sozialleistungsquote setzt alle Ausgaben für Sozialleistungen in einem Staat ins Verhältnis zu seinem Bruttoinlandsprodukt
Je höher das Wohlstandsniveau eines Landes, desto höher ist tendenziell der Anteil seiner Sozialausgaben.

Das Subsidiaritätsprinzip wiederum definiert eine Rangordnung: Zunächst ist der Mensch für sich selbst verantwortlich. Im Bedarfsfall kommt sodann die Familie in die Pflicht. Und der Staat springt erst ein, wenn diese Möglichkeiten ausgeschöpft worden sind.

Bund, Länder und Kommunen als Organe 

Organisiert ist der Sozialstaat als System auf mehreren Ebenen: Der Bund hat gemäß Artikel 72 des Grundgesetzes die Gesetzgebungskompetenz für alle Aufgaben, bei denen es um die Sicherstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse geht. Die Bundesländer werden beispielsweise in der Bildungspolitik gesetzgeberisch tätig, aber auch – ­gemeinsam mit dem Bund – im Bereich der Fürsorge, etwa bei der Grundsicherung für Arbeitssuchende, bei der ­Sozialhilfe oder dem Wohngeld. Der staatliche Auftrag zur Fürsorge obliegt wiederum den Kommunen. Ihre Sozialpolitik stellt Sach- und Dienstleistungen zur Verfügung, organisiert neben dem Bau von zum Beispiel Schulen, ­Kitas und Pflegeheimen auch Angebote zur ­Jugendhilfe.

Die Finanzierung von Aufgaben, die an die Kommunen verpflichtend übertragen werden, wird vom Bund übernommen, teils im Verbund mit den Bundesländern, so etwa beim Wohngeld. Daneben gibt es aber auch verpflichtende Selbstverwaltungsaufgaben wie die Sozial- oder Jugendhilfe, bei denen die Kommunen selbst entscheiden, wie sie dem nachkommen. Dabei greift das sogenannte Konnexitätsprinzip: Die Kosten, die den Kommunen durch diese Aufgaben entstehen, trägt das jewei­lige Bundesland – da dieses die Fürsorgeleistung „bestellt“ hat. Freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben obliegen dage­gen dem Ermessen der Kommunen, so zum Beispiel kulturelle oder Sportangebote.

Um Sozialpolitik angemessen umzusetzen, bedarf es also einer ausreichenden finanziellen Ausstattung, die nur von einer Wirtschaft erbracht werden kann, die von eben dieser Sozialpolitik gestärkt wird.